Der Jet Leg birgt eine gute Ausrede, wie üblich die Abend- und Nachtstunden mit alten Freunden zu verbringen. Das Fahrrad meines Vaters unterm Hintern, fahre ich von Oberbruch nach Heinsberg und sehe einen Pottschnitt und Baggies tragenden Teenager mit seinem cremefarbenen Gary Fisher Mountainbike dieselbe Strecke hunderte Male fahren. Vorbei an der Turnhalle, die vor einem Jahrzehnt der Austragungsort glorreicher Siege und (weitaus häufigerer) frustrierender Niederlagen an der grünen Platte war. Der große Chrysler Van, der vor der Turnhalle geparkt ist, kommt mir seltsam vertraut vor. Kurve nach rechts, Spielplatz. Es muss vor 9 oder 10 Jahren gewesen sein, als ein Tischtennisvereinskamerad zum ersten Mal das Jamaikafrühstück mitbrachte. Die Bäume konnten an diesem Spätsommertag die Kraft der Sonne nicht aufhalten. Die Strahlen ließen alles um mich tanzen und den Boden sanft in Schwingung geraten. Kurve links, Wiesen. Standen hier nicht früher Kühe? Deren Exkremente wir in ihrer Streuwirkung unterschätzen, als wir die Überreste der Silvesterböller hineinsteckten? Dahinter der Plattenbau, der seit einigen Jahren leer steht, dessen Wände die Malgrundlage der mittlerweile dritten oder vierten Sprayergeneration darstellen. PUNK 4-EVER! Wie lange hält die Ewigkeit? Zeit ist relativ, die Erde dreht sich unterschiedlich schnell. Für manche steht sie still. M hat mittlerweile eine Küche zu seinem Kellerzimmer bei den Eltern bekommen. Vorbei kommt schon lange keiner mehr. Was macht D denn so? Wie, nichts??? Naja, auch weiße Wände haben ihren Reiz. Und C? 8 Tage auf Deutschlands schönster Kolonie hinterlassen einen bleibenden Eindruck von Belanglosigkeit. Nur EINE Frau, da ist aber was falsch gelaufen. Da kann Deutschland Superstar Dieter, über dessen rotweißgestreifte Badehose sich das Fernsehen gerade auslässt, aber eine bessere Quote vorweisen. Wie kann man nur dieselbe Shorts wie letzten Sommer tragen? Zapp! „…stehen Meldungen zufolge mehr als ein Drittel des Landes unter Wasser, Die Menschen helfen sich notdürftig so gut es geht…“ Zapp! Was geht heute Abend? Der Burgberg, auf dem periodisch Schuljahresabschlußgrillparties mit Sperrmüllunterstützung in ein wüstes Gelage ausarteten, ist mit Förderungsgeldern von Stadt und Land zum Wohnzimmer des Städtchens aufgemotzt worden. Das Stelldichein national renommierter Stars löst regelmäßig einen Sturm der Begeisterung bei den eingefleischten Karnevalisten aus, die auch das Burgfest ausrichten, das uns zu später Stunde mit den Superhits längstverkrusteter Diven wie Cher und Boney M geradezu wie von Geisterhand in seinen Bann zog. Der Verkrustungsgrad scheint sich sehr leicht auf das anwesende Partyvolk übertragen zu haben. Verdeckt wird er durch die mit offensichtlichem Stolz zur Schau gestellten grünen und roten Jacken mit den goldenen Schulterannähern. Schade, dass die dazugehörigen Bommelhauben nicht zu sehen waren. Dafür ließ sich aber Walter blicken. Walter, der Topspieler des lokalen Tischtennisvereins, der mit seiner Mannschaft dieses Jahr unbedingt aufsteigen will von der dritten in die zweite Kreisklasse. Nachdem er letztes Jahr so knapp vorbei gerutscht ist, wurde jetzt die Taktik komplett umgekrempelt. Ansonsten scheint er in seinem Leben nicht viel umgekrempelt zu haben. Dem klapprigen Drahtgestell mit dem Pudel-Vo-ku-Hi-La auf der Tanzfläche begegnet er mit dem unweigerlich Misserfolg versprechenden Charme eines süß-sauren Pilzgerichts aus der Konservendose. Immerhin scheint es hier im Trend zu liegen, stilbrecherisch die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit anderer in ihren Grundfesten erschüttern zu lassen. Anders kann ich mir den Sandalenmenschen mit der ausgeleierten, viel zu großen Lederweste und den abgeschnittenen Jeans, der bei der Schlagerschnulze von der dicken Sängerin so erotisch süffisant die Augen zu kneift und mit den Fingern schnippst, nicht erklären. Diese Wurstpelle meint mich doch tatsächlich, angeregt durch meine zugegebenermaßen für diesen Landstrich verwegene Haarpracht, ansprechen zu müssen. „Bob Marley, hehe! Hörst du den auch?“ Come on, lass uns ihn in Frieden ruh’n und einfach aufhören, so zu tun, als wollten wir uns kennen lernen. Ich weiß wahrscheinlich mehr über dich, als du jemals über dich wissen wirst. Es war offensichtlich ein großer, großer Fehler mich überhaupt auch nur in die Nähe dieses Charisma-Triumvirats begeben zu haben. „Un wat machsu so?“ werde ich angelallt. Das Hintertürchen wäre gewesen, zu behaupten, ich arbeite als stellvertretender Lagerchef bei Soundso und bin seit 4 Jahren verheiratet, mit einem hässlichen kleinen Fisch. So wären mir und ihm die Peinlichkeiten ersparen geblieben, Sätze sagen zu müssen, wie „oh da hast du aber bestimmt viele Erfahrungen gemacht“. Ehrlich gesagt, die wahren Erfahrungen macht man zu Hause.
Sunday, October 14, 2007
frESSEN
Auf nächtlicher Jagd durch dunkles Unterholz entpuppt sich ein Schatz, dessen Reichtum nicht von dieser Welt zu sein scheint. Eichhörnchen alike wurde er mit fast 30jähriger Perfektion angehäuft. Wofür mich jedes Marktforschungsinstitut beneiden würde, habe ich mich tief eingegraben in die Materie des wohl vertrauten und doch seltsam bizarr anmutenden Anblicks eines Suburbiakleinstädtischendoppelhaushälftenkellerregals, das sich mir gleichermaßen weltstädtisch wie provinziell, progressiv wie traditionell offenbart.
In Augenhöhe lässt es die wahre Passion seiner Meisterin, der Hüterin des heiligen Hausgrals, erkennen. Von harmonischem Onko klassisch, über löslichen Kaffee von Hag, Capuccino mit feinem Espresso und Capuccino Irish Creme bis zu den Melitta Mycup Pads für die schnelle Tasse zwischendurch hat sie für jede Gelegenheit die richtige Antwort auf die quälende, bohrende Bauchfrage parat. Um nicht noch mehr Unruhe in dieser Region zu verbreiten, wurde der Schonkaffee wohlweißlich eine Etage tiefer verstaut.
Die sauber nach süß und herzhaft getrennte Konservenabteilung lässt der Zügelschwingerin wahre Fähigkeit erkennen; der Haushalt wird mit wahren Entrepreneur-Skills gemanagt. Pfirsiche, Aprikosen, Ananas, Birnen, Mandarinen-Orangen, Tortenpfirsiche und Fruchtcocktails sind die eine Sache, große Bohnen, Brechbohnen, Linsen mit Suppengrün, Silberzwiebeln, Erbsen und Möhren, weiße Bohnen, Champignons „sliced“ und erster Wahl und die Zwei Gläser „Bambusshoots“ eine ganz andere. Letztere und die Mangos in Scheiben von Royal Dragon lassen mich überraschen. Ach ja, der Wok, der seit einigen Jahren neues Mitglied der Familie ist. Damals, in dem Jahr Weihnachten, es muss in etwa zu meiner Konfirmation gewesen sein, als meine Mama auf einmal den Vorschlag machte, doch mal das neue Chinarestaurant, von dem die Canasta-Freundin immer schwärmte, auszuprobieren. In dem Jahr, als zum ersten Mal ein ferner Wind durch ein strahlendreines Küchenfenster wehte.
Ein Kellerregal erzählt Geschichten. Zum Beispiel vom Vater, der mal in einem Anfall von Unternehmergeist die economics of scale von einem Kilo schwarzen Pfeffer erforschen wollte. Oder die, von der Seniorenpfadfindernachbarin, die die katholische Frauenge-meinschaft leitet, mit der meine Oma immer mit zarten Füßchen auf heißes Opernparkett zusteuert. Luxusoblaten aus der Tschechischen Republik können einfach nicht lügen. Oder die relativ deutliche Spur eines besonderen Tages im Leben meiner Schwester, der die Minderjährigkeit auf eine unendliche Reise geschickt hat. Die Party schien offensichtlich ohne DDR-Bananenerlebnis über die Bühne gegangen zu sein, denn ein Haufen bunter Russen bevölkert den Fußboden dieses besagten Regals, das mich durch sein vollendetes Charisma beim Brothochholen um 2 Uhr morgens in seinen Bann zog.
Mühelose, weil tagtägliche Zuneigungsbestätigung meinem Papa gegenüber lässt selbst Außenstehende wie mich eine geballte Faust in die Höhe schnellen. Gerade als der ca. 1,3 Sekunden zuvor bemerkte Mangel an Gouda-Käse die Neuronen anspornen wollte, die Frustrationssynapsen meines Hirns zu aktivieren, sehe ich den in der Ferne so schmerzlich Vermissten, für meinen in der Früh-stückenden Vater mit einem unsichtbaren Kuss versehen, auf der Kartoffelkiste an der Kellertreppe liegen. Freudestrahlend nehme ich ihn in die Hand um zu unchristlicher Stunde eine Tradition aufleben zu lassen, die in guter alter Zeit, zur Zeit des FüßeunterdenTischderEltern-Stellens, für enormen Missmut gesorgt hat, mir aber nach langen Abenden die Lebensenergie zurückbrachte; Der nächtliche Zwischenimbiss!
Trotz Schweinebratens mit Sauerkraut, den es gestern Abend als ich vom Flughafen nach Hause kam, gegeben hat, ist mein Appetit nach langer Zeit mal wieder zu Hause solange nicht gestillt, bis ich meinen ersten Snack zusammengestellt habe. Unter den, mit dem Prädikat „abgewogen und für gut empfunden“ versehenen, Exquisitäten eines Nichtstudenten-wohngemeinschaftsküchenkühlschranks befinden sich so illustre Sachen wie Kräutergrieben-schmalz, De Cesare Balsamico Senf, ein komplett unbekannter Senf in einem kleinen, blau bemalten Keramiktöpfchen, geräucherte Mettwurst vom Metzger des Vertrauens, Röstzwiebeln und frische Butter. Diese befindet sich zu dieser Zeit der Nacht wie üblich auf dem gelben Tischdeckchen aus Cord-Stoff, dessen warme Farben mit dem Fensterschmuck und der Gardine abgestimmt sind. Die Tasse in den Farben des corporate identity bewussten Arbeitgebers meines Vaters mit der Durchhalteparole für’s Leben „Mach klein was dich klein macht“ steht mit der Aussicht auf heißem Kaffee aus der Thermoskanne daneben. Da sind wohl auf obskure Art und Weise Achtziger Jahre Punkattituden in die deutsche Kleinstadtmittelschicht geraten. Creativity! Die feschen Glasbrettchen zeugen von einem neuen Trend in der Küchenausstattung. Die Standardholzbrettchen meiner Kindheit sind der postfordistischen Individualisierung zum Opfer gefallen.
In Augenhöhe lässt es die wahre Passion seiner Meisterin, der Hüterin des heiligen Hausgrals, erkennen. Von harmonischem Onko klassisch, über löslichen Kaffee von Hag, Capuccino mit feinem Espresso und Capuccino Irish Creme bis zu den Melitta Mycup Pads für die schnelle Tasse zwischendurch hat sie für jede Gelegenheit die richtige Antwort auf die quälende, bohrende Bauchfrage parat. Um nicht noch mehr Unruhe in dieser Region zu verbreiten, wurde der Schonkaffee wohlweißlich eine Etage tiefer verstaut.
Die sauber nach süß und herzhaft getrennte Konservenabteilung lässt der Zügelschwingerin wahre Fähigkeit erkennen; der Haushalt wird mit wahren Entrepreneur-Skills gemanagt. Pfirsiche, Aprikosen, Ananas, Birnen, Mandarinen-Orangen, Tortenpfirsiche und Fruchtcocktails sind die eine Sache, große Bohnen, Brechbohnen, Linsen mit Suppengrün, Silberzwiebeln, Erbsen und Möhren, weiße Bohnen, Champignons „sliced“ und erster Wahl und die Zwei Gläser „Bambusshoots“ eine ganz andere. Letztere und die Mangos in Scheiben von Royal Dragon lassen mich überraschen. Ach ja, der Wok, der seit einigen Jahren neues Mitglied der Familie ist. Damals, in dem Jahr Weihnachten, es muss in etwa zu meiner Konfirmation gewesen sein, als meine Mama auf einmal den Vorschlag machte, doch mal das neue Chinarestaurant, von dem die Canasta-Freundin immer schwärmte, auszuprobieren. In dem Jahr, als zum ersten Mal ein ferner Wind durch ein strahlendreines Küchenfenster wehte.
Ein Kellerregal erzählt Geschichten. Zum Beispiel vom Vater, der mal in einem Anfall von Unternehmergeist die economics of scale von einem Kilo schwarzen Pfeffer erforschen wollte. Oder die, von der Seniorenpfadfindernachbarin, die die katholische Frauenge-meinschaft leitet, mit der meine Oma immer mit zarten Füßchen auf heißes Opernparkett zusteuert. Luxusoblaten aus der Tschechischen Republik können einfach nicht lügen. Oder die relativ deutliche Spur eines besonderen Tages im Leben meiner Schwester, der die Minderjährigkeit auf eine unendliche Reise geschickt hat. Die Party schien offensichtlich ohne DDR-Bananenerlebnis über die Bühne gegangen zu sein, denn ein Haufen bunter Russen bevölkert den Fußboden dieses besagten Regals, das mich durch sein vollendetes Charisma beim Brothochholen um 2 Uhr morgens in seinen Bann zog.
Mühelose, weil tagtägliche Zuneigungsbestätigung meinem Papa gegenüber lässt selbst Außenstehende wie mich eine geballte Faust in die Höhe schnellen. Gerade als der ca. 1,3 Sekunden zuvor bemerkte Mangel an Gouda-Käse die Neuronen anspornen wollte, die Frustrationssynapsen meines Hirns zu aktivieren, sehe ich den in der Ferne so schmerzlich Vermissten, für meinen in der Früh-stückenden Vater mit einem unsichtbaren Kuss versehen, auf der Kartoffelkiste an der Kellertreppe liegen. Freudestrahlend nehme ich ihn in die Hand um zu unchristlicher Stunde eine Tradition aufleben zu lassen, die in guter alter Zeit, zur Zeit des FüßeunterdenTischderEltern-Stellens, für enormen Missmut gesorgt hat, mir aber nach langen Abenden die Lebensenergie zurückbrachte; Der nächtliche Zwischenimbiss!
Trotz Schweinebratens mit Sauerkraut, den es gestern Abend als ich vom Flughafen nach Hause kam, gegeben hat, ist mein Appetit nach langer Zeit mal wieder zu Hause solange nicht gestillt, bis ich meinen ersten Snack zusammengestellt habe. Unter den, mit dem Prädikat „abgewogen und für gut empfunden“ versehenen, Exquisitäten eines Nichtstudenten-wohngemeinschaftsküchenkühlschranks befinden sich so illustre Sachen wie Kräutergrieben-schmalz, De Cesare Balsamico Senf, ein komplett unbekannter Senf in einem kleinen, blau bemalten Keramiktöpfchen, geräucherte Mettwurst vom Metzger des Vertrauens, Röstzwiebeln und frische Butter. Diese befindet sich zu dieser Zeit der Nacht wie üblich auf dem gelben Tischdeckchen aus Cord-Stoff, dessen warme Farben mit dem Fensterschmuck und der Gardine abgestimmt sind. Die Tasse in den Farben des corporate identity bewussten Arbeitgebers meines Vaters mit der Durchhalteparole für’s Leben „Mach klein was dich klein macht“ steht mit der Aussicht auf heißem Kaffee aus der Thermoskanne daneben. Da sind wohl auf obskure Art und Weise Achtziger Jahre Punkattituden in die deutsche Kleinstadtmittelschicht geraten. Creativity! Die feschen Glasbrettchen zeugen von einem neuen Trend in der Küchenausstattung. Die Standardholzbrettchen meiner Kindheit sind der postfordistischen Individualisierung zum Opfer gefallen.
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