Sunday, October 14, 2007

Home Sweet Alabama

Der Jet Leg birgt eine gute Ausrede, wie üblich die Abend- und Nachtstunden mit alten Freunden zu verbringen. Das Fahrrad meines Vaters unterm Hintern, fahre ich von Oberbruch nach Heinsberg und sehe einen Pottschnitt und Baggies tragenden Teenager mit seinem cremefarbenen Gary Fisher Mountainbike dieselbe Strecke hunderte Male fahren. Vorbei an der Turnhalle, die vor einem Jahrzehnt der Austragungsort glorreicher Siege und (weitaus häufigerer) frustrierender Niederlagen an der grünen Platte war. Der große Chrysler Van, der vor der Turnhalle geparkt ist, kommt mir seltsam vertraut vor. Kurve nach rechts, Spielplatz. Es muss vor 9 oder 10 Jahren gewesen sein, als ein Tischtennisvereinskamerad zum ersten Mal das Jamaikafrühstück mitbrachte. Die Bäume konnten an diesem Spätsommertag die Kraft der Sonne nicht aufhalten. Die Strahlen ließen alles um mich tanzen und den Boden sanft in Schwingung geraten. Kurve links, Wiesen. Standen hier nicht früher Kühe? Deren Exkremente wir in ihrer Streuwirkung unterschätzen, als wir die Überreste der Silvesterböller hineinsteckten? Dahinter der Plattenbau, der seit einigen Jahren leer steht, dessen Wände die Malgrundlage der mittlerweile dritten oder vierten Sprayergeneration darstellen. PUNK 4-EVER! Wie lange hält die Ewigkeit? Zeit ist relativ, die Erde dreht sich unterschiedlich schnell. Für manche steht sie still. M hat mittlerweile eine Küche zu seinem Kellerzimmer bei den Eltern bekommen. Vorbei kommt schon lange keiner mehr. Was macht D denn so? Wie, nichts??? Naja, auch weiße Wände haben ihren Reiz. Und C? 8 Tage auf Deutschlands schönster Kolonie hinterlassen einen bleibenden Eindruck von Belanglosigkeit. Nur EINE Frau, da ist aber was falsch gelaufen. Da kann Deutschland Superstar Dieter, über dessen rotweißgestreifte Badehose sich das Fernsehen gerade auslässt, aber eine bessere Quote vorweisen. Wie kann man nur dieselbe Shorts wie letzten Sommer tragen? Zapp! „…stehen Meldungen zufolge mehr als ein Drittel des Landes unter Wasser, Die Menschen helfen sich notdürftig so gut es geht…“ Zapp! Was geht heute Abend? Der Burgberg, auf dem periodisch Schuljahresabschlußgrillparties mit Sperrmüllunterstützung in ein wüstes Gelage ausarteten, ist mit Förderungsgeldern von Stadt und Land zum Wohnzimmer des Städtchens aufgemotzt worden. Das Stelldichein national renommierter Stars löst regelmäßig einen Sturm der Begeisterung bei den eingefleischten Karnevalisten aus, die auch das Burgfest ausrichten, das uns zu später Stunde mit den Superhits längstverkrusteter Diven wie Cher und Boney M geradezu wie von Geisterhand in seinen Bann zog. Der Verkrustungsgrad scheint sich sehr leicht auf das anwesende Partyvolk übertragen zu haben. Verdeckt wird er durch die mit offensichtlichem Stolz zur Schau gestellten grünen und roten Jacken mit den goldenen Schulterannähern. Schade, dass die dazugehörigen Bommelhauben nicht zu sehen waren. Dafür ließ sich aber Walter blicken. Walter, der Topspieler des lokalen Tischtennisvereins, der mit seiner Mannschaft dieses Jahr unbedingt aufsteigen will von der dritten in die zweite Kreisklasse. Nachdem er letztes Jahr so knapp vorbei gerutscht ist, wurde jetzt die Taktik komplett umgekrempelt. Ansonsten scheint er in seinem Leben nicht viel umgekrempelt zu haben. Dem klapprigen Drahtgestell mit dem Pudel-Vo-ku-Hi-La auf der Tanzfläche begegnet er mit dem unweigerlich Misserfolg versprechenden Charme eines süß-sauren Pilzgerichts aus der Konservendose. Immerhin scheint es hier im Trend zu liegen, stilbrecherisch die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit anderer in ihren Grundfesten erschüttern zu lassen. Anders kann ich mir den Sandalenmenschen mit der ausgeleierten, viel zu großen Lederweste und den abgeschnittenen Jeans, der bei der Schlagerschnulze von der dicken Sängerin so erotisch süffisant die Augen zu kneift und mit den Fingern schnippst, nicht erklären. Diese Wurstpelle meint mich doch tatsächlich, angeregt durch meine zugegebenermaßen für diesen Landstrich verwegene Haarpracht, ansprechen zu müssen. „Bob Marley, hehe! Hörst du den auch?“ Come on, lass uns ihn in Frieden ruh’n und einfach aufhören, so zu tun, als wollten wir uns kennen lernen. Ich weiß wahrscheinlich mehr über dich, als du jemals über dich wissen wirst. Es war offensichtlich ein großer, großer Fehler mich überhaupt auch nur in die Nähe dieses Charisma-Triumvirats begeben zu haben. „Un wat machsu so?“ werde ich angelallt. Das Hintertürchen wäre gewesen, zu behaupten, ich arbeite als stellvertretender Lagerchef bei Soundso und bin seit 4 Jahren verheiratet, mit einem hässlichen kleinen Fisch. So wären mir und ihm die Peinlichkeiten ersparen geblieben, Sätze sagen zu müssen, wie „oh da hast du aber bestimmt viele Erfahrungen gemacht“. Ehrlich gesagt, die wahren Erfahrungen macht man zu Hause.

frESSEN

Auf nächtlicher Jagd durch dunkles Unterholz entpuppt sich ein Schatz, dessen Reichtum nicht von dieser Welt zu sein scheint. Eichhörnchen alike wurde er mit fast 30jähriger Perfektion angehäuft. Wofür mich jedes Marktforschungsinstitut beneiden würde, habe ich mich tief eingegraben in die Materie des wohl vertrauten und doch seltsam bizarr anmutenden Anblicks eines Suburbiakleinstädtischendoppelhaushälftenkellerregals, das sich mir gleichermaßen weltstädtisch wie provinziell, progressiv wie traditionell offenbart.
In Augenhöhe lässt es die wahre Passion seiner Meisterin, der Hüterin des heiligen Hausgrals, erkennen. Von harmonischem Onko klassisch, über löslichen Kaffee von Hag, Capuccino mit feinem Espresso und Capuccino Irish Creme bis zu den Melitta Mycup Pads für die schnelle Tasse zwischendurch hat sie für jede Gelegenheit die richtige Antwort auf die quälende, bohrende Bauchfrage parat. Um nicht noch mehr Unruhe in dieser Region zu verbreiten, wurde der Schonkaffee wohlweißlich eine Etage tiefer verstaut.
Die sauber nach süß und herzhaft getrennte Konservenabteilung lässt der Zügelschwingerin wahre Fähigkeit erkennen; der Haushalt wird mit wahren Entrepreneur-Skills gemanagt. Pfirsiche, Aprikosen, Ananas, Birnen, Mandarinen-Orangen, Tortenpfirsiche und Fruchtcocktails sind die eine Sache, große Bohnen, Brechbohnen, Linsen mit Suppengrün, Silberzwiebeln, Erbsen und Möhren, weiße Bohnen, Champignons „sliced“ und erster Wahl und die Zwei Gläser „Bambusshoots“ eine ganz andere. Letztere und die Mangos in Scheiben von Royal Dragon lassen mich überraschen. Ach ja, der Wok, der seit einigen Jahren neues Mitglied der Familie ist. Damals, in dem Jahr Weihnachten, es muss in etwa zu meiner Konfirmation gewesen sein, als meine Mama auf einmal den Vorschlag machte, doch mal das neue Chinarestaurant, von dem die Canasta-Freundin immer schwärmte, auszuprobieren. In dem Jahr, als zum ersten Mal ein ferner Wind durch ein strahlendreines Küchenfenster wehte.
Ein Kellerregal erzählt Geschichten. Zum Beispiel vom Vater, der mal in einem Anfall von Unternehmergeist die economics of scale von einem Kilo schwarzen Pfeffer erforschen wollte. Oder die, von der Seniorenpfadfindernachbarin, die die katholische Frauenge-meinschaft leitet, mit der meine Oma immer mit zarten Füßchen auf heißes Opernparkett zusteuert. Luxusoblaten aus der Tschechischen Republik können einfach nicht lügen. Oder die relativ deutliche Spur eines besonderen Tages im Leben meiner Schwester, der die Minderjährigkeit auf eine unendliche Reise geschickt hat. Die Party schien offensichtlich ohne DDR-Bananenerlebnis über die Bühne gegangen zu sein, denn ein Haufen bunter Russen bevölkert den Fußboden dieses besagten Regals, das mich durch sein vollendetes Charisma beim Brothochholen um 2 Uhr morgens in seinen Bann zog.
Mühelose, weil tagtägliche Zuneigungsbestätigung meinem Papa gegenüber lässt selbst Außenstehende wie mich eine geballte Faust in die Höhe schnellen. Gerade als der ca. 1,3 Sekunden zuvor bemerkte Mangel an Gouda-Käse die Neuronen anspornen wollte, die Frustrationssynapsen meines Hirns zu aktivieren, sehe ich den in der Ferne so schmerzlich Vermissten, für meinen in der Früh-stückenden Vater mit einem unsichtbaren Kuss versehen, auf der Kartoffelkiste an der Kellertreppe liegen. Freudestrahlend nehme ich ihn in die Hand um zu unchristlicher Stunde eine Tradition aufleben zu lassen, die in guter alter Zeit, zur Zeit des FüßeunterdenTischderEltern-Stellens, für enormen Missmut gesorgt hat, mir aber nach langen Abenden die Lebensenergie zurückbrachte; Der nächtliche Zwischenimbiss!
Trotz Schweinebratens mit Sauerkraut, den es gestern Abend als ich vom Flughafen nach Hause kam, gegeben hat, ist mein Appetit nach langer Zeit mal wieder zu Hause solange nicht gestillt, bis ich meinen ersten Snack zusammengestellt habe. Unter den, mit dem Prädikat „abgewogen und für gut empfunden“ versehenen, Exquisitäten eines Nichtstudenten-wohngemeinschaftsküchenkühlschranks befinden sich so illustre Sachen wie Kräutergrieben-schmalz, De Cesare Balsamico Senf, ein komplett unbekannter Senf in einem kleinen, blau bemalten Keramiktöpfchen, geräucherte Mettwurst vom Metzger des Vertrauens, Röstzwiebeln und frische Butter. Diese befindet sich zu dieser Zeit der Nacht wie üblich auf dem gelben Tischdeckchen aus Cord-Stoff, dessen warme Farben mit dem Fensterschmuck und der Gardine abgestimmt sind. Die Tasse in den Farben des corporate identity bewussten Arbeitgebers meines Vaters mit der Durchhalteparole für’s Leben „Mach klein was dich klein macht“ steht mit der Aussicht auf heißem Kaffee aus der Thermoskanne daneben. Da sind wohl auf obskure Art und Weise Achtziger Jahre Punkattituden in die deutsche Kleinstadtmittelschicht geraten. Creativity! Die feschen Glasbrettchen zeugen von einem neuen Trend in der Küchenausstattung. Die Standardholzbrettchen meiner Kindheit sind der postfordistischen Individualisierung zum Opfer gefallen.

Friday, June 29, 2007

Farewell and Welcome

Some days never end... Having taken my seat in a half empty Aeroflot-Ilyushin 96-300 I glimpsed the first gasp of a dawning new life. The sun hasn’t confessed yet its merciless power which has conquered the Indian subcontinent during the last couple of weeks and squeezed out all remaining life. It won’t conquer me again for the next time because I’ve closed this chapter of my life, realising in retrospective with a few weeks distance that I’m not about to return for the next months, years!? Who knows?

Leaving behind many friends but taking with me countless impressions I decided to fetch my reward of being abiding during the last 6 months. The ultimate reason for any approaching uneasiness and discomfort during this time was lying just 12.000 kilometres away, like the white dove flies. An Aeroflot Tupolev Ilyushin 96-300 takes more. The fascinating crepuscular light of the early morning faded away to give birth of a 24 hours daylight experience. Why go to the North Pole when having this ultimate opportunity with a westbound intercontinental flight at the right time?

12.000 kilometres further west or east, doesn’t really matter anymore in these length categories, my destination was called Jule, Ontario. I’ve never found this on any map before but still it was the biggest dot on my imaginary world map - One of these red stars surrounded by a circle, which indicates the function of a nation’s capital.

Thus I finally ended up in Toronto, Canada.

I couldn’t be more shocked by its brutal cleanliness. Whereas my girl complained about Toronto’s bad air quality and its chaotic drivers, mainly of Japanese origin, I was just feeling like turning somersaults across the roads and drinking the water of Lake Ontario for breakfast. My lungs were jumping out of my body to breathe the freshness of Canada’s biggest metropolis.

Thursday, June 28, 2007

Himalaya Dawn - I'm on the Road again


Diesen Canned Heat Klassiker habe ich jedes Mal im Ohr, wenn es endlich wieder losgeht und ich mich aller Fesseln erledige. Letzte Woche Mittwoch endlich hab ich die Hitze der Ganges Plains hinter mich gelassen und bin mit meinem netten Maschinchen namens Royal Enfield Thunderbird 350cc gen Norden gecruised. Die ersten Stunden waren die reinste Hölle. Der National Highway Nr. 1 von Delhi Richtung Chnadigarh und Amritsar ist eine einzige Riesenbaustelle, besonders in den Städten, die ich passiert habe, wo ein Flyover nach dem anderen gebaut wird. Das ist die indische Version der Umgehungsstraße, wahrscheinlich um einiges teuer aber dafür haben es die Eis-, Plastikspielzeug- und Sonnenschutzautofenstermattenverkäufer nicht so weit zu ihrem Arbeitsplatz.

Nach einigen Stunden Staubfresserei habe ich „the Beautiful City“ Chandigarh erreicht. Schön ist natürlich Geschmackssache, eines ist jedoch nicht zu leugnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen engen, dreckigen, lauten indischen Städten kann man in Chandigarh atmen. Ansonsten hat die vom Schweizer Architekten Le Corbusier geplante Stadt für mich nicht die gleiche Anziehungskraft, die das mächtige Himalaya-Massiv in Sichtweite auf mich auswirkte. Also hab ich noch ein paar Kilometer drangehangen, um mich an der Schönheit der Auswirkungen der Plattentektonik zu erfreuen.

Wenn man auf indischen Straßen motorisiert unterwegs ist, ist man um einiges sicherer als zu Fuß, man hat sich die Nahrungskette immerhin schon mal um mindestens 2 Stufen hochgearbeitet. Dennoch lauern hinter jedem Dhaba tückische Gefahren. An nur einem Tag ist einem Suzuki-Maruti 100 Meter vor mir bei 80km der Heckspoiler abgeflogen und mit einem Riesen-Geschepper vor meinen Reifen gelandet. Kurz zuvor hatte ich einen LKW so schnell wie möglich überholen müssen, weil dieses hoffnungslos überladene Ungetüm konstant seine Ladung, Kies und größere Steinbrocken, verloren hat. Sehr zweifelhaft, ob der mit wahnsinnig viel Inhalt am Ziel ankam oder den ganzen Highway Nr. 1 in einen Steinbruch verwandelt hat. Gefahr Nr.3 sind Pferdegespanne, die von wildgewordenen Biestern kreuz und quer über den, wohlgemerkt immer noch, Highway gezerrt werden, bis der Bordstein Endstation ist. Oben in den Bergen muss man sich derweil mit wildgewordenen Busfahrern rumschlagen, die manchmal so dermaßen schnell um die Kurven gebrettert kommen, dass es beinahe unmöglich ist, sie zu überholen. Die kleinen Dörfer dort werden mitunter von Hunden bevölkert, deren einzige Abwechslung des Tages es anscheinend ist, mir während der Fahrt ins Bein beißen zu wollen. Dann schon lieber die Armeen von Affen, die mich einfach nur still beobachten, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, ihre eigene Haut vor mir zu retten.

Über Shimla, Dharmsala, Dalhousie und Champa wollte ich eigentlich den Weg nördlich nehmen, um nach Kaschmir zu fahren. Nach ca. 140km und einigen extrem widrigen Bedingungen, wie Wasserfällen, die quer über die Straße verlaufen, und hunderte Meter langen, tiefen Kiesgruben war der letzte Polizeiposten vor der Kaschmirischen Grenze vorläufige Endstation. „Terroristen haben die Brücke in die Luft gejagt,“ hieß es. Ob ich dem glauben wollte oder nicht, jedenfalls ging’s nicht weiter und ich musste den ganzen weiten Weg zurück. Nicht genug, dass ich auf diese Art und Weise bereits einen ganzen Tag verloren hab, beim 2. Anlauf, die Kaschmirische Grenze zu erreichen, fliegt mir der Hinterreifen um die Ohren und lässt mich einen doppelten Rittberger über den Lenker machen.

Zunächst sah es so aus, als wäre eine kleine Zollstation im Punjab Endstation, weil das Bike ziemlich übel aussah und weit und breit keine Werkstatt in der Nähe war. Mein Schutzengel war aber nichtsdestotrotz besonders lieb zu mir, denn außer einem verstauchten Zeigefinger und ein paar abgeschabten Hautfetzen ist alles heile geblieben. Warum also aufgeben? Nachdem ich mich zusammengeflickt hab und die Nacht auf dem Vordach des Zollpostens gepennt hab, bin ich am nächsten Morgen mit dem Bus nach Pathankot, dem nächsten größeren Kaff, gefahren, um einen Mechaniker aufzutreiben. Erstaunlicherweise lief von da an alles glatt. Zusammen sind wir mit dem Moped zurück gefahren, wo er meinen Reifen gewechselt hat und den Kickstarter repariert hat, sodass ich wenigstens den Weg bis in die Werkstatt antreten konnte. Dort wurde den ganzen Tag herumgeschraubt und abends sah mein Baby wieder fast aus wie neu.

Zu jeder Situation ein passender Song, denn ich bin wieder hier, in meinem Revier. Und hab es doch tatsächlich geschafft, beim 3. Anlauf Kaschmir zu befahren. Dieses Unterfangen stellte sich jedoch bald als eine der sieben göttlichen Plagen heraus. Wer meint, ich übertreibe, der soll nur mal die ganze Zeit auf einem der am stärksten frequentierten Highways Indiens zwischen den derbsten Stinkern herum eiern. Manche Trucks blasen eine riesige tiefschwarze Wolke auf die Straße, die dort mindestens so lange stehen bleibt, bis das nächste Vehikel diesen Zustand nachhaltig verschlimmert. Aus Rücksicht auf die Passanten befinden sich die Auspuffe auf der rechten Seite, was in Kombination mit Linksverkehr bedeutet, dass ich die ganze Soße herrlich abbekomme. Und ich Doof lass meine Sonnenbrille in Delhi liegen. Die sich rapide vor mir auftürmenden Bergmassive entschädigen jedoch für alle Entbehrungen. Ich werde peu á peu meinen persönlichen Höhenrekord nach oben schrauben. Bisher war dies der Furkapass in der Schweiz, Gruß an dieser Stelle an Spanking the Monkey and Ex-Niko and the Bastards und an alle Roadies. Heute hab ich den am Jawahanga-Tunnel um 300m überboten. Doch die Königsetappe wird dann Mitte nächster Woche steigen, wenn es am Tanglang La auf über 5300m geht.

Heute (25.05.07) habe ich Srinagar erreicht. Die Strecke hierhin ist die definitiv best bewachte Straße weltweit. Pro Kilometer passiert man mindestens 30-50 patrouillierende Soldaten und mindestens jedes zweite Fahrzeug, das mir entgegen kam, war Militär. Es scheinen gerade massive Truppenbewegungen statt zu finden, denn alles bewegte sich südlich. Wenn man bedenkt, dass die Hauptkampflinie westlich und nördlich von Srinagar liegen, könnte man vermuten, dass dies ein Zeichen einer zunehmenden Entspannungspolitik ist. Zumal Manmohan Singh, der indische Premierminister immer wieder öffentlich beteuert hat, die Lösung der Kaschmir-Problematik liegt nicht in der militärischen Stärke sondern im Dialog zwischen allen Beteiligten. Im Moment ist die Lage hier relativ ruhig. Srinagar zieht vermehrt Touristen an, hauptsächlich indische, wie mir scheint, die auf den Hausbooten auf dem Dal Lake residieren und die Uferpromenade entlang spazieren. Tatsächlich, Srinagar hat einen richtigen Bürgersteig, sogar ohne 80cm tiefe Schlaglöcher und rostigen Stahlstreben, die sinnlos aus dem Beton herausragen. Ich bin schwerst beeindruckt!

Doch dass die Idylle trügerisch ist, wird einem sofort wieder bewusst, wenn man Soldaten mit Metalldetektoren am Straßenrand rumlaufen sieht. Der Konflikt um Kaschmir jährt sich dieses Jahr zum sechzigsten Mal und aufgrund seiner Komplexität scheint keine Lösung in greifbarer Sichtweite. Die „offizielle“ Konfliktebene, d.h. die zwischen den beiden souveränen Staaten Indien und Pakistan, wird seit 1947 von einer Sonder-UN-Mission, der UNMOGIP (United Nations Military Observers Group India and Pakistan) überwacht. Major Ričko aus Zagreb erzählte mir, ohne natürlich auf sensible Details einzugehen, von der Arbeit vor Ort. Das Hauptquartier wechselt alle 6 Monate zwischen Srinagar und Rawalpindi, offensichtlich ein politischer Schachzug, um keine Partei zu benachteiligen. Die Hauptaufgabe der 44 UN-Soldaten ist es, die Menge und Art der Waffen auf beiden Seiten der LoC (Line of Control) zu kontrollieren. Eigentlich soll auf dieser Weise der bereits auf dem Papier vereinbarte Rückzug schwerer Artillerie überwacht werden. Doch dies hat bisher in der Praxis nicht stattgefunden. Wenn ich mich zurück erinnere an schwüle Aprilabende auf unserem Hosteldach in der JNU, in denen ich Sameer über seine Zeit bei den Paramilitary Forces gelauscht habe, dann bleibt dies trotz aller politischer Beteuerungen ein heißer Konflikt. Er sei in seiner 30monatigen Zeit in Kaschmir viermal in gegnerisches Feuer geraten, dabei zweimal verwundet worden.

Leider hab ich nicht allzu viel Zeit momentan, um mehr zu erfahren, sonst hätte ich die Tage nochmals um ein ausführlicheres Interview mit dem CMO (Chief Military Observer der UNMOGIP) gebeten. Aber um meinen lang ersehnten Flug nach Toronto nicht zu verpassen, darf ich nicht allzu lange hier verweilen. Man weiß ja nie was auf den nächsten 1000km noch so alles passiert.

28.05.07

Die ersten 150km haben mich dann auch kalt erwischt. Gestern Morgen bin ich von Srinagar aufgebrochen gen Nordosten Richtung Kargil. Nach ca. einer Stunde setzte zunächst ein leichtes Nieseln ein, das allmählich in einen beständigen Regen überging. Ich wollte aber auf jeden Fall zumindest Sonamarg, der letzte Kaschmirische Ort bevor es nach Ladakh reingeht, erreichen. Selten habe ich einem heißen Chai so entgegen gefiebert, denn als ich ankam, war ich ziemlich begossen und es war arschkalt. Ich war jedenfalls sehr froh, dass ich mir in Srinagar noch Handschuhe und einen dicken, großen Schal besorgt hab. Nachdem ich mich am Herd in einem Chaidhaba getrocknet habe und mir eine zweite Hose übergezogen habe, bin ich trotz der wolkenverhangenen Berge, die wettertechnisch eigentlich nichts Gutes verhießen, weitergefahren. Das nächste große Hindernis, im wahrsten Sinne des Wortes, stand mir mit dem 3530m hohen Zoji La bevor. Die dortigen Serpentinen waren eine einzige Schlammschlacht. Inmitten eines Militärkonvoi habe ich mich im ersten Gang hochgequält und musste einmal auf die Hilfe einiger Soldaten zurückgreifen, als ich einer riesigen Pfütze ausweichen wollte, man weiß ja nie, wie tief die Löcher sind und ob dort spitze Steine auf meine leiderprobten Reifen warten. Ich habe stattdessen eine vermeintlich trockene Fahrrinne gewählt die sich jedoch als das größere Übel entpuppte. Relativ fix stand mein Esel tief im Morast und drohte bei jeglichem Versuch, vorwärts zu kommen, weiter einzusinken. Da half nur noch, mir drei Soldaten zu schnappen und die knapp 200kg mit vereinten Kräften aus dem Dreck zu hieven. Die nächsten 15 km waren die reinste Zickzacktour zwischen Pfützen, Steinblöcken und tiefem Schlamm. Als es dann noch mein erster Schnee seit 16 Monaten einsetzte, war ich heilfroh, oben auf der Passhöhe in der wohl gewärmten Stube des wachhabenden Offiziers zu sitzen und mich zu registrieren. Die 150 Mann, die dort ihren Dienst tun, sind wahrlich nicht zu beneiden. Nach einigen weiteren Pfützen, bei denen ich jedes Mal ein Stoßgebet gen Himmel geschickt habe, wurde die Straße allmählich besser und die restlichen 90 km entschädigten schließlich für alle Mühsal. Entlang eines reißenden kleinen Nebenflusses des Indus, der phänomenal fürs Rafting geeignet wäre, ging es durch die atemberaubendste Landschaft. Bäume gab es nur noch am Rande der wenigen Siedlungen, ansonsten wich die Vegetation fast ausschließlich kargen Felsformationen. Da Ladakh, der östliche Teil des Bundesstaates Jammu und Kaschmir arides Klima aufweist, lässt es mich hoffen, dass mir Regen und Schnee die nächsten Tage erspart bleiben.

Kargil ist ein wunderschön gelegener Ort inmitten einer kleinen grünen Oase aus Reisfelder und Bäumen, der ca. 20.000 Menschen beherbergt. Die allermeisten Touristen, verweilen hier nur über Nacht, aus gutem Grund, denn es gibt nicht wirklich aufregendes zu sehen. Dementsprechend war mein Tag, den ich hier heute verbracht hab, relativ entspannt. Die Bevölkerung Kargils, die einen interessanten Mix aus tibetisch-zentralasiatischen Aussehen und muslimischer Kultur aufweist, ist sehr viel mehr entspannter als es vielerorts in Indien der Fall ist. In den zwei Stunden, die ich einfach nur chai schlürfend am Straßenrand gesessen habe, haben mich natürlich Leute angesprochen, aber bei weitem nicht so viele wie sonst und es umzingelten mich erst recht keine Menschenmassen, die mich doof anglotzten. Feinschmecker jedoch werden diesem Ort nicht wirklich was abgewinnen können, denn außer Fried Rice und Mutton Curry gibt es nicht allzu viel auf der lokalen Speisekarte. Es reicht halt für’s Überleben, mehr auch nicht. So werde ich mich denn auch morgen in der Früh aufmachen gen Leh. Auf der Etappe werden auf 232 km 2 Berge der höchsten Kategorie, um im Tour de France Jargon zu sprechen, zu überwinden sein, der 3760m hohe Namika La und der 4108m hohe Fotu La. Peu a Peu schraube ich so meinen persönlichen Höhenrekord nach oben.

29.05.07

Als Nachwehe meines Crashs im Punjab ist einer der Rahmenstangen, die das hintere Schutzblech mit der Hinterachse verbindet gebrochen. Als Resultat schleifte das Schutzblech am Hinterreifen, sodass ich den Weg hinunter vom Namika La im Schritttempo bis ins nächste Dorf fahren musste. Dort habe ich mit Hilfe einiger Tibeter, einem Stück Draht, einer Zange und einer Eisenstange die Aufhängung provisorisch zusammengetüddelt. Die Konstruktion funktioniert sehr gut, deshalb werde ich wohl auf die Dienste eines Schweißgerätes verzichten. Ansonsten ist bereits gestern die komplette Elektrik der Instrumente ausgefallen. Tachonmeter und Tankanzeige funktionierten vorher schon nicht, aber jetzt fahr ich auch die Geschwindigkeit und die Distanz auf Gefühl. Hauptsache, die Reifen, Bremsen und der Motor bleiben intakt. Der Rest ist doch eh nur schmückendes Beiwerk.

Ansonsten ist heute alles glatt verlaufen. Die Pässe waren wesentlich einfacher zu fahren, als der Zoji La, da die Straße meistens asphaltiert war und es bis auf wenige Ausnahmen keine Pfützen gab. Vorbei an eindrucksvollen, kargen Felslandschaften, kleinen tibetanischen Dörfern und diversen Militärlagern habe ich schließlich Leh erreicht. Von Kargil kommend passiert man zunächst ein riesiges Areal, das ausschließlich militärisch genutzt wird, inklusive Flughafen der Air Force, da Leh das Nachschubdrehkreuz für den Siachen Gletscher, das höchstgelegene Schlachtfeld der Erde, darstellt. Ansonsten ist Leh die alte Hauptstadt des ladakhischen Königreiches, das von den Briten erobert wurde. Der 500 Jahre alte Königspalast, der ein wenig an den Pothala in Lhasa erinnert, beinhaltet einen kleinen Raum, in dem, als ich ankam, ein ca. 10 jährigen Novize tibetische Verse übte. Der ganze Raum war neben einem großen Buddha und einigen Schellen und Trommeln voller tibetischer heiliger Manuskripte, die von den Mönchen in Jahrzehntelangem Studium auswendig gelernt werden. Soviel zur Forderung aus dem Bildungsministerium nach lebenslangem Lernen.

Die Altstadt wird seit 2003 von einer NGO, der Tibetan Heritage Foundation, die von einem deutschen Architekten, André Alexander, ins Leben gerufen wurde, wieder hergerichtet; mit beachtlichem Erfolg.

Leider hatte ich nur einen Tag, das 360° Bergpanorama zu genießen, denn der härteste Abschnitt wartete auf mich. Die 474km zwischen Leh und Manali sind berüchtigt als einer der schwersten Straßen weltweit. Nach 110 km muss der Tanglangla, der zweithöchste Pass der Erde (5330m) überwunden werden. Mit einem Höllenrespekt bin ich losgefahren, nur um festzustellen, dass, bis auf einen kleinen Abschnitt, die Straße auf beiden Seiten des Passes asphaltiert ist. So gestaltete sich diese Überquerung letztendlich als die einfachste sämtlicher neun Pässe auf meinem Weg. Mein Fehler war jedoch, den Rest auf die leichte Schulter zu nehmen.


Denn ab Kilometer 160 bis nach Manali, war die Straße insgesamt für ca. 120 km in teilweise desolatem Zustand. Nach der abfahrt des Tanglangla ging es über eine 4700m hohe Ebene, wo der Wind so dermaßen kalt blies, und Sandstürme einem die Sicht komplett nahmen, dass die nächste menschliche Besiedlung mir wie der Garten Eden vorkam. Pang war dennoch nicht mehr als ein paar Armeehütten plus zwei tibetische Zelte, die Chai, Sabzi (Gemüse), Reis und Dal kochen und wo man die Nacht verbringen kann. Nach einer *****-Mahlzeit ging es dem toughesten Abschnitt entgegen. Zunächst musste ich einen 15 Meter breiten, fast knietiefen Fluss durchqueren, weil die Brücke das Zeitliche gesegnet hat. Zum ersten Mal seit 10 Jahren oder so hab ich ein Kreuzzeichen hinterher gemacht. Der folgende Doppel-Pass, Lachalung La und Nakee La, war zwar „nur“ 5065m hoch, doch gab es auf 30 km nur grobes Geröll und Schmelzwasserflüsse, die teilweise hunderte Meter die Straße hinab flossen. Hin und wieder kam ein LKW oder ein Jeep vorbei, doch das war für ca. 230 km, von den beiden Transit Camps Pang und Sarchu abgesehen, alles, was auf Leben auf diesem Planeten hindeutet. Ansonsten gab’s nur eine Wüste aus Steinen, Schnee und Sand.

Die Nacht habe ich in Sarchu in einem Zelt zusammen mit ein paar indischen Truckfahrern und der tibetischen Familie, die dort im Sommer die Passanten versorgt, verbracht. Ich kann mir ein spannenderes Leben vorstellen, als dort in dieser Einsamkeit, wo ein altes Transistorradio das einzige Kommunikationsmittel in die Außenwelt darstellt. Hier würde man wahrscheinlich noch nicht einmal einen Atomkrieg mitbekommen.

Als das Sonnenlicht am nächsten Morgen genügend Kraft hatte, die Luft ein paar Grad zu erwärmen, bin ich weiter, immer in der ständigen Sorge um meine Reifen auf den Schotterabschnitten. Das nächste große Hindernis, und meiner Meinung nach auch das Schwerste, war der Baralacha La (4950m) wo gewaltige Schneemaßen die Straße säumten und an keinerlei Asphalt oder auch nur festen Schotter zu denken war. An der Passhöhe angekommen, ging es dann aber zur Abwechslung für 20 km ganz smooth wieder ins Tal. Erstaunlich, man fährt eine Stunde lang die Serpentinen bergab und ein Schild am nächsten Camp deutet an, dass man sich auf 4200m befindet. Kaum zu glauben! Nach erneutem, endlosen Schotter und Millionen Schlaglöchern kam ich dann endlich tief genug, um mich Eidechsenmäßig auf einem Felsen zu Sonnen, und die Solarzellen meine Batterien wieder aufladen zu lassen. Und dann, oh Wunder, Dharcha, das erste Dorf seit nördlich des Taglang La. Noch konnte ich mich nicht in Sicherheit wiegen, denn ich war noch nicht über’m Berg. Der letzte Pass vor Manali, der Rothang La hatte es trotz seiner mickrigen 3950m noch einmal in sich. Ins Tal stürzende Wasserfälle müssen durchquert werden, eine elendige Zickzack-Fahrerei raubt einem den letzten nerv, doch dann, endlich! Die Gipfelfahnen flattern gegen den leuchtend blauen Himmel und auf einmal ist man inmitten von Horden indischer Touristen, die mit Kind und kegel ihren Familienurlaub oder auch ihr Honeymoon in Manali verbringen und sich gemütlich auf den Pass fahren lassen. Ich hab noch nie so viele Leute an einem Tag kotzen sehen, mal von der Satanskanalfähre ’99 nach Dover mal abgesehen. Mich hat die Höhenkrankheit jedoch nicht eingeholt. Lag’s an der vielen frischen Luft? In dieser Hinsicht bin ich auf jeden Fall bereit, mich erneut in den verpesteten Glutofen Delhi zu stürzen. Es erscheint mir noch so surreal, dass ich nach all der Kälte in 2 Tagen mir am liebsten wieder die Haut vom Körper schälen würde.

Ein Volk im Exil

Rubinrot leuchten die Gewänder der Insassen des Busses, der mit lautstarkem Gehupe um die Kiefernbewaldete Bergkurve gebraust kommt. Kahlgeschorene Köpfe strecken sich dem ebenso lautstarken Geknatter meiner 350 Kubikzentimeter entgegen um eine Sekunde später hinter der nächsten Serpentine verschwunden zu sein. Offensichtlich hat sich das wiederholte Nach-dem-Weg-Fragen gelohnt, denn das erste Ziel meines Weges heißt McLeod Ganj. Seitdem ein 24jähriger tibetischer Gottkönig vor 48 Jahren mit einem kleinen Gefolge den Himalaya-Kamm erfolgreich überquert hat und sich hier niedergelassen hat, bildet diese kleine Fleckchen Erde auf 1750m ÜNN das spirituelle und politische Zentrum für 6 Millionen Tibeter. Seitdem haben hunderttausende beschlossen, den beschwerlich Weg auf sich zu nehmen um der kulturellen Apokalypse in der Heimat zu entgehen. Viele von ihnen haben es nicht geschafft, wurden von chinesischen Grenzposten erschossen oder ins nächstgelegene Gefängnis gebracht, viele jedoch haben die Reise nach Nepal und eben hierhin überstanden.

Wie Sangye: „I came here 10 years ago when I was 23. I wanted to learn Tibetan language and Philosophy and I wanted to be near the Dalai Lama.”

Die bloße Nähe des Dalai Lama ist es vielen Tibetern wert, ihre Heimat, ihre Familie und Freunde im Stich zu lassen ohne Aussicht, sie jemals wieder zu sehen. Während Chefkoch Sangye seinem Kochkurs zeigt, wie Tingmo und Kaptse, zwei tibetische Gebäckspezialitäten, gemacht werden erzählt er von seiner Flucht.

„Me and my best friend were going together. We were scared that Chinese border military sees us and shoots us. That’s why we went in very high areas, 6300m, maybe 6500m, I don’t know. Sometimes it was very cold. Three nights we slept on ice. The first night was ok. The second night was bad, it was sooo cold. And we couldn’t even make tea, because there was no firewood. But we survived and now we’re here.”

Lopsang hat diese Strapazen als siebenjähriges Kind erlebt. „My parents sent me and my brother together with my aunt to get a good education. Education in Tibet is very bad. The Chinese want to keep us stupid. They send prostitutes to Lhasa and make the whiskey cheap to make us bad people. Here in Dharmsala we get good education.”

Dieser Aussage verleiht er Nachdruck, indem er sein Handbuch über Microsoft Word packt und den Chai-Shop Richtung Computer Store verlässt.

Meine innere Uhr, die einzige, die ich diese Tage benutze, deutet mir an, ebenfalls den letzten Happen meines Aloo Paratha schleunigst zu verzehren und aufzubrechen, denn laut Sangye gibt seine Heiligkeit höchstpersönlich eine öffentliche Vorlesung. Als ich am Tempel ankomme sitzen überall Mönche und Nonnen in ihren roten Gewändern und lauschen den Worten ihres Führers, der in der Mitte der offenen Tempelhalle sitzt und über Moralphilosophie und Menschenrechte debattiert. Kurz nachdem ich ankam, ich habe den Lama noch nicht erblicken können, strömte wie aus heiterem Himmel Mönche die Treppe, neben der ich stehe, hoch. Kurzentschlossen habe ich mich in den monochromen Reigen eingereiht, in der Hoffnung irgendetwas besonders tolles zu sehen. Es ist ein elendiges Gedränge, wie es natürlich nur auf den Weg zu EINEM, ganz besonderen, Locus geschieht.

Gegen 12 Uhr löst sich die Ansammlung auf, und nachdem der Dalai Lama in seine relativ bescheidene Residenz zurückgekehrt ist, werden die Straßen McLeod Ganj’s wieder bevölkert von den geschätzten 600-800 Mönchen und Nonnen. Man sieht sie Momos am Straßenrand essen, Coca Cola im Café trinken, shoppen, oder auch die Klamotten und sich selber am nahe gelegenen Wasserfall waschen. Diese Akzeptanz weltlicher Genüsse steht ganz im Gegensatz zum Lebensstil meines neuen Freundes Baba Nakarnath. Diesen lustigen, kleinen alten Kauz hab ich am Straßenrand auf dem Weg zum Wasserfall aufgegabelt. Nach einem kurzen Hallo hat er mich zu sich hereingebeten. Mit Babas/Sadhus vertrauten Leuten dürfte jetzt eine gewisse Paradoxie nicht entgangen sein. Babas besitzen eigentlich gar nichts. Schon gar keine (ständige) Behausung. Letztendlich handelte es sich um sein Schlafgemach, dass er sich mit einigen Freunden, die einen Chai-Shop betreiben, teilt. Es ist ein typisches indisches selbst gebasteltes Hüttchen, das so idyllisch am Berghang mit Blick weit in die Ebene herein gelegen ist, dass ich sofort eingezogen wäre. Er ließ mich staunen, als er mir Fotos von sich zeigen wollte. Wie zum Teufel kommt ein Mensch, der in seinem ganzen Leben noch nie Geld besessen hat, der jeden Tag von der Hand in den Mund lebt und der seinen „Baba-Pass“ in Tempeln als Pfand hinterlegt, um sich eine Schlafdecke auszuleihen, an einen Fotoapparat??? Naja logisch halt. Er bekommt ihn geschenkt.

Ein paar Impressionen aus dem Leben eines indischen Asketen, natürlich alles visuell untermauert: „This morning Puja (Gebet)“…„also morning Puja“…„My brother“…„Temple Sednarth“…„Mountain Temple. Shiva lingam inside“...“me and my brother doing Puja”...”me smoking”...“here also smoking”...”Kashmir Temple”...”My friend Kashmir”...”me smoking”...”Street to Sednarth temple”...”Temple at night”...“All my brothers smoking”

Baba Nakarnath dürfte zigtausende Brüder haben, die kreuz und quer durch Indien wandern und Tag für Tag tonnenweise Charas konsumieren. Im Gegensatz zu den Touristen, die sich in Orten wie Manali oder Pushkar bei den Händlern eindecken, wissen sie ganz genau, wo sie nach den Pflänzchen suchen müssen. Im Zweifel haben viele Tempel ihre eigenen Gärten, wo sich der interessierte Hobbygärtner dran laben kann.

Insomnia


Deep in the bosom of the gentle night
Is when I search for the light
Pick up my pen and start to write
I struggle, fight dark forces
In the clear moon light
Without fear... insomnia
I can't get no sleep

Insomnia please release me,
And let me dream of making mad love to my girl on the heath,
Tearing off tights with my teeth.
But there's no release, no peace,
I toss and turn without cease.
Like a curse,
I open my eyes and rise like yeast.

...

Eigentlich, ja eigentlich sollte ich jetzt Schäfchen addieren und von Wolke 7 auf 8 und zurück surfen. Es ist 5:20 Uhr morgens und in 4 Stunden und 10 Minuten geht meine Prüfung los. Doch wie in fast jeder Nacht in den vergangenen 3 Wochen haben die Schäfchen einfach keine Chance gegen den ganzen Gedankenbrei in meinem Kopf. Beim geringsten Anzeichen eines Blökens werden sie flux vom Sensenmann in Empfang genommen und zur Schlachtbank geführt.

Um einen Massenmord zu verhindern, sollte ich schnellstmöglich dafür sorgen, das Weite zu suchen. Die Enge meines Zimmers, an das ich aufgrund der Hitze weitestgehend gefesselt bin, macht mich wahnsinnig. Die Ineffizienz der Moskitogitter noch viel mehr. 3 Stunden 50! Und schon wieder hab ich 3 dieser Mistviecher gekillt. Okay, der Massenmord lässt sich also definitiv nicht verhindern. Sei’s drum… Hannibal Lecter, Robert Steinhäuser und Konsorten warten dann auf mich.

Nr. 4!

Soeben realisier ich, dass es draußen hell wird. Der Countdown läuft. Noch 3 Stunden 44 Minuten und noch 34 normale Tage und ein gaaanz langer. Insider zählen mit, hoffe ich?

Nr. 5 und 6 lass ich leben, bin ja kein Unmensch. Die süßen kleinen tun mir ja schließlich nichts, sind ja alle schon satt um diese Zeit. Vielleicht hätte ich mir doch ein Netz übers Bett hängen sollen.

Tja, was soll ich außer zeitvertreibender Belanglosigkeiten großartig schreiben? Heute gerät das Schreiben an sich zum reinen Selbstzweck. Draußen werden die ersten Leute aktiv, sollte ich mich ins Getümmel schmeißen? Ach nein, eigentlich viel zu müde. Nochmal den Prüfungskram durchgehen? Davon penn ich bestimmt eh nur ein, keine allzu gute Idee mehr um diese Zeit. 5:55Uhr. Das Schwimmbad hat vor 55 Minuten aufgemacht. Hab mich immer gefragt, wer um diese Uhrzeit schwimmen geht. Sind wahrscheinlich ähnlich seelenlose Gespenster der Nacht. Oder etwa durchtrainierte, workaholisierte, (Nr. 7, sorry für die Unterbrechung) Mittdreißiger, die anschließend ins Büro fahren, um ja den Börsenstart in Singapur nicht zu verpassen? Leben kann man ja später noch, kurz bevor man tot ist.

Leben, ja das muss ich bald auch mal wieder machen. War mal ’ne Art Hobby von mir gewesen, damals vor unendlich langen Wochen, die mich bettlägerig wie einen 90 jährigen erscheinen lassen. Ich will Schnee, Berge, Freiheit, Wind, Wasser ohne 40% Chloranteil.

Noch ein paar Tage, dann werde ich mir mein Leben zurückholen und ’ne große Sause machen. Man wird von mir hören… Irgendwo. Irgendwann.

Campusleben

Nachdem die bisherigen Berichte hauptsächlich von meinen Aktivitäten außerhalb des Alltags handelten, wird es mal Zeit, ein wenig die vergangenen Monate auf dem Campus Revue passieren zu lassen. Zumal das Semester sich so langsam dem Ende entgegenneigt. Lustigerweise stehen die Termine für die End-Klausuren noch nicht fest, jeder erzählt da was andres. Da bleibt einem nix andres übrig als abzuwarten und Chai zu trinken. Chai, dieses ekligsüße Gesöffs, von dem man an guten Tagen schon mal 10 bis 20 trinken kann, denn es ist wohl die sozialisierendste Aktivität die man machen kann. Nix zu tun? Ach lass mal’n Chai trinken! Sitzt man irgendwo am Ganga Dhaba (dem Campus Hotspot) rum, bringt jeder, der neu zur geselligen Runde hinzu stößt, Chai für alle mit. Bei 3 Rupies kann man sich’s auch leisten, den halben Campus zu versorgen. Da ich mittlerweile letzteren kenne, ist’s schwierig da trocken zu bleiben. Ein Glück ist’s alkoholfrei, sonst müsste ich mir echt sorgen um meine Leberwerte machen. Die sind aber sehr wahrscheinlich im Gegensatz zu meiner Lunge einwandfrei. Hier muss man sich sein wohlverdientes Feierabendbier manchmal enorm hart erarbeiten. Letzte Woche waren ja bekanntlich die Hinspiele des Champions League Viertelfinals. Da Fußball gucken ohne Bier Sünde ist und deshalb nicht erlaubt, habe ich mich gerade mit Paully, meinem Lieblingsnigerianer, auf den Weg zum Biershop machen wollen, als die Satansnachricht vom Schweizer Alkoholminister Urli kam, dass wegen am Donnerstag anstehender Kommunalwahlen sämtliche lizenzierte Whine- and Beershops geschlossen waren.

Da haben wir so hart dafür gekämpft, uns im Büro der Foreign Students’ Union einen Kabelanschluss legen zu lassen, sind extra bei sämtlichen Unindern sammeln gegangen, haben’s endlich geschafft und dann das!!! Das mit dem Kabel war nötig, weil ja, wie hoffentlich jeder von euch Sportfreaks weiß, gerade die Cricket WM auf den West Indies stattfindet und dementsprechend an einen freien TV in den Hostels nicht im Traum zu denken ist. Aber dazu später mehr…

Zurück zum wesentlichen! Grandmaster Urli hat dann keine Kosten und Mühen gescheut, auf unbekanntem Terrain zu wildern und die Vorzüge des underground black market zu nutzen. Ebenso wie’s in Indien eine Beef Mafia für Rindfleisch gibt, gibt es für den spendierfreudigen Liebhaber des edlen Hopfentropfens die entsprechende Adresse, die ein wahrhaft würdiger Rikscha-Wallah aufzusuchen weiß, um seinen Klienten glücklich zu machen. Mit dem Diplomatenauto von Sami aus Aserbaidschan sind wir dann sogar erfolgreich gewesen, Eis zu besorgen, sodass einem wahrlich gelungenen Abend nichts mehr im Wege stand.

Apropros Sami, sehr cool: Der hat in der B-Jugend bei Bayern München mit Phillip Lahm in einer Mannschaft gespielt. Schon lustig, wie klein die Welt doch ist. Bzw. als wie bedeutend Deutschland außerhalb unserer kleinen Bananenrepublik angesehen wird. Immerhin ist Deutsch hier fast eine Lingua Franca neben Englisch, Hindi und Französisch. Von den neun Jungs, die anfangs beim Foppes schauen am Start waren, war jeder relativ flüssig, was die deutsche Sprache anging. Immerhin entstammen sie so urdeutschen Kolonien wie Usbekistan, Nigeria, Sudan, Aserbaidschan, Äthiopien und na ja gut der Schweiz, immerhin einer fast Kolonie. Insgesamt bin ich schwer begeistert, wie viele Sprachen einige Leute hier sprechen. Shiva z.B. spricht Malayalam als Muttersprache, was im Süden Indiens, vor allem in Karnataka und Kerala gesprochen wird, nebenbei Hindi, Urdu, Tamil, Arabisch, Französisch, Sanskrit, Englisch, Deutsch und noch 3-4 andere indische Regionalsprachen.

Well, Neid in die Tüte gesteckt und weggepafft. Was geht sonst so hier in Delhi? Kann ich ehrlich gesagt gar nicht so viel zu sagen, da ich eigentlich die meiste Zeit auf oder in der Nähe des Campus verbringe. Die Wahrnehmung der Stadt wird definitiv eine ganz andere sein, wenn man irgendwo Downtown (wenn man das so sagen kann) wohnt und arbeitet. Wenn nicht irgendwelche besonderen Anlässe bestehen, beschränken sich die Aufenthalte außerhalb des Unigeländes hauptsächlich auf Munirka und Priar.

Ersteres ist der Stadtteil, der östlich angrenzt, in dem man die Besorgungen des gehobeneren täglichen Bedarfs verrichten kann und indem auch einige Studenten wohnen. Das Viertel beherbergt hauptsächlich die untere bis obere Mittelschicht, es besteht aus einem lebhaften Markt, engen, dreckigen verwinkelten Gassen, drei bis fünfstöckigen Wohnhäusern, Kleingewerbe, Tempel, den allgegenwärtigen Kühen, etc. Man könnte es wohl als eine typisch indische Siedlung bezeichnen ungeordnet, dreckig, lebhaft.

Hier faden einiger der besseren Partys dieses Semesters statt. Ganz groß war die Wohnungseinweihungsparty von Massoud aus dem Iran. Er hat auf der obligatorischen Dachterrasse ein dickes Barbeque (seht, seht, wie der Samen gedeiht…) mit fetziger iranischer Popmusik veranstaltet. Die Atmosphäre war wahrhaft kosmopolitan. Mit Leuten aus aller Herren Länder über Weltpolitik, -kultur und wirtschaft plaudernd auf die Lichter einer der aufregenderen Metropolen der Welt blickend schönen iranischen Mädels noch schönere Augen machen, ja das Leben kann sehr angenehm sein…

Bei solchen Gelegenheiten lässt sich erkennen, wie glücklich wir Europäer uns schätzen können, eine relativ große Reisefreiheit zu besitzen. Massoud hat mir erzählt, wie ihm trotz Einladung von französischen Freunden sein Visumsantrag nach Frankreich abgelehnt wurde, einfach und allein aus dem Grund, weil Iran im Moment außenpolitisch ein wenig mit dem Feuer spielt. Tragisch, wie alle Leute über einen Kamm geschert werden, denn Massoud ist alles andere als ein Mullah. Er legt bzgl. des Fröhnens leiblicher Genüsse durchaus französische Attitüden an den Tag. Hat er vielleicht deshalb die schöne Marion von sich überzeugen können!? Ein weiteres Beispiel für eine rigide Visapolitik betrifft meinen guten Freund Shaban. Er als Pakistani hat sich offensichtlich als Lebensaufgabe gemacht, einen Weg zur Verständigung zwischen den beiden verfeindeten Atommächten Pakistan und Indien zu öffnen. Aufgrund der nach wie vor gespannten Situation sind die Visabestimmungen für Angehörige beider Länder relativ rigide. Shaban hat es dennoch geschafft, sich als erster pakistanischer Student an einer indischen Uni einzuschreiben. Ein Ausstausch auf dieser Ebene ist meines Erachtens viel Erfolg versprechender zur Lösung des Konflikts als auf rein präsidialer Ebene, denn nur so können Vorurteile abgebaut werden. Also Shaban, viel Erfolg bei deiner Mission!

So, wie komm ich jetzt wieder zu den Partys zurück? Pups auf lange Überleitungssätze, here we go: Naike’s Geburtstagsparty, die sie aufgrund mindestens ebenso rigider Eintrittsbestimmungen zum Girls’ Hostel bei Tikka und Veronique gefeiert hat, war nicht ganz so kosmopolitan, dafür waren einfach viel zu viele Franzosen dort, aber dafür war das Essen ganz ausgezeichnet. Das ist nämlich einer der ganz großen Vorteile, in Munirka zu wohnen, man hat seine eigene Küche. Das musste ich letztens auch mal ausnutzen und hab mich selbst bei den beiden Ladies zum Bratkartoffeln machen eingeladen. Also Papa, an deine sind die beileibe nicht herangekommen, müsste dich mal als Sternekoch einfliegen lassen!

Dann hatte mich Gregor letztens auf das iranische Neujahrsfest mitgeschleppt. Bei Manas gab’s traditionelles iranisches Neujahrsessen: Bratfisch, Gemüsereis, Salat, diverse Süßigkeiten und nicht ganz so traditionelles Bier. Danach hab ich erstmal meine iranischen Kollegen bei ihrem nationalen Kartenspiel (hab den Namen leider vergessen) 3mal hintereinander abgezogen. Wer einmal Skat gelernt hat, braucht vor den internationalen Kartenspielregularien keinen Respekt zu haben.

So jetzt muss ich mal einen großen Bogen nach Pryar spannen. Dieses Geschäfts- und Amusementviertel liegt zwischen Campus und dem Botschafterviertel Vasant Vihar gelegen. Hier haben viele Expats ihre überteuerten Wohnungen, hier gibt es unglaublich gute Kakaos aus geschmolzener Papua-Chilli-Mango Schokolade (ein Traum, den man sich gerne mal ein Tageslohn des Straßenfegers, der draußen am Fenster vorbeiläuft, kosten lässt.), hier zeigt das PVR-Kino die neuesten B-und H-ollywoodmovies, hier besaufen sich die Botschafterkiddies, hier wählen die (t)urbanisierten Sikhboys, wo sie ihre heißen Schnallen ausführen. Vielleicht ins Barcode, wo das Bier 300 Rs. (5€) kostet oder ins PTM, wo tanzwütige ab 12 Uhr mittags die Hufe schwingen können? Pizzahut, McD, Subway, Benetton, Reebok, alles was eine zunehmend betuchte Mittel- und Oberschicht sowie die ganzen Botschaftsmitarbeiter zum Glücklichsein brauchen. Okay, ertappt, bei Subway war ich auch schon 2-3 mal. Aber die haben auch einfach verdammt gutes Brot da;)

Der Rest meines Alltags findet auf dem Campusgelände statt. Abends kann man sich vor Aktivitäten kaum retten. Da die meisten Leute erst gegen Abenddämmerung aus ihren Löchern gekrochen kommen, nachdem sie den alltäglichen Sommerschlaf gehalten haben, ist enormer Geselligkeitsnachholbedarf vorhanden. Ich hab ja schon erwähnt, dass die Uni so ’ne Art Kaderschmiede für politische Freiheitskämpfer ist. Letztens gab’s z.B. einen Fackelmarsch zum zehnjährigen Todestag eines der Ex-JNU Students Union-Führer, der bei irgendeiner Aktion in Westbengalen von der Polizei erschossen wurde. RIP!!!

Ansonsten laufen ständig irgendwelche Filme und Debatten über diverse Klassenkämpfe, Polizeiaktionen, Untergrundkämpfe, Bauernaufstände, etc. Welcome to India! Wer genug von dem ganzen Krams hat, der hängt am Ganga Dhaba oder im KC (unserer Campuseinkaufsflaniermeile) bei Chai, frisch gepresstem Fruchtsaft oder Samosas ab und schaut den Mädels hinterher. Fussball-, Volleyball- und Tischtennisturniere lassen keinen Müßiggang aufkommen. Aber das Lustigste sind definitiv die Hostel Nights. Jedes der 13 Hostels auf dem Campus veranstaltet einmal im Semester eine so genannte Hostel Night, wobei sich die Organisatoren größte Mühe geben, die Dekoration so kitschig-schwul wie möglich aussehen zu lassen. Rosafarbene Tücher und mit Lichterketten geschmückte Blumengirlanden schirmen den Essensbereich ab, wo dick aufgetragen wird. Die Diät ist vergleichbar mit denen einer Hochzeit, es gibt Veg und Non Veg, Eis, Nachtisch, Tomatensuppe, Chapatis, Gemüsereis, von allem soviel man will. Viele der Mädels haben sich in ihren Sonntagssari geschmissen, nur um ihn ’ne Stunde später wieder gegen die Jeans auszutauschen. Warum? Tja, versucht doch mal, in 8 Meter Stoff gewickelt, ’nen heißen Dance auf die Tables zu legen…

Denn wenn der DJ in seiner Plattenkiste stöbert, um die fetten Hindi-Tracks auf die Stage zu schmeißen, dann lässt sich hier keiner zweimal bitten. Hier wird nicht stundenlang verklemmt, sich krampfhaft an seiner Zigarette festhaltend, in der Ecke rum gesessen. Nein Krishnas Söhne und Töchter lassen’s krachen. Bei der Party meines Hostels, das ein wenig verächtlich das Old Mens’ Hostel genannt wird, weil hier doch ’ne Menge PhD-Nerds (PhD = Dr.) die Mückenverseuchten Kämmerchen bevölkern, waren’s leider fast ausschließlich letztere. Die Frauenquote hat irgendwie an eine Schützenvereinsparty (Sorry, Vater) oder an die Wochenenden der Freiwilligen Feuerwehr erinnert. Aber hey! In Indien lernt man, auch gleichgeschlechtlich sexy zu tanzen. Ich hab dann doch irgendwann die Kurve gekratzt, als ich mich von, mich ekstatisch antanzenden, Typen umzingelt sah. Jaja, die Konditionierung hat gewirkt, für so etwas sind Frauen einfach unersetzlich. Verständlicherweise sind die Hostel Nights der Mädelshostels unmerklich beliebter. Vor allem auch, weil dies die einzige Gelegenheit ist, diese Hostels mal von innen zu sehen. Ansonsten werden sie hermetisch vom Wachpersonal abgeschirmt. Hab ich erwähnt, das Delhi eine der höchsten Vergewaltigungsraten hat? Diese Gesellschaft ist aber auch in einem fetten Teufelskreis gefangen. Einerseits ein traditioneller Wertekanon, andererseits die Rundungen einer Aishwarya Rai, immerhin Miss World 1994, die einem bei jedem Blick auf die Coca Cola Werbetafeln das Herz höher schlagen lassen. Sie wird übrigens nächste Woche Abishek Bachchan, den Sohn des Bollywood-Superstars Amitabh Bachchan, heiraten. Das Thema nimmt hier in den Klatschzeitungen in Indien im Moment den größten Platz ein. Ist vielleicht vergleichbar mit Prince Charles’ und Lady Di’s Hochzeit damals.

Ein weiteres Thema ist natürlich die grandiose Cricket-WM auf den West Indies -aufmerksame Leser werden sich an die daraus resultierende Problematik erinnern. Indien hat mal wieder ganz großartig verkackt. Im ersten Spiel gegen Bangladesh zu verlieren, das hat was vom Bruderduell 1974 gehabt. Na wer erinnert sich an Jürgen Sparwassers legendären Siegtreffer? Während in Dhaka die Leute Freudenfeuer angezündet haben, haben in Indien die Privatautos, -häuser und allerorts die Poster der Spieler gebrannt. Nachdem die Bermudas dann mit 413 Runs weggefegt wurde, ich glaube, das ist eines der höchsten Ergebnisse der WM-Geschichte gewesen, hat man dann im entscheidenden Vorrundenspiel gegen Sri Lanka trostlos sämtliche Hoffnungen von einer Milliarde Fans verspielt. Und wieder brannten Poster, die Poster-Wallahs in den Straßen der Metropolen haben an diesen Tagen ein gutes Geschäft gemacht. Mittlerweile sind sowohl der Kapitän Rahul Dravid als auch der englische Coach Greg Chappell zurückgetreten. Letzterem ist’s aber entschieden besser als seinem pakistanischen Konterpart Bob Woolmer, der vergiftet in seinem Hotelzimmer in Trinidad aufgefunden wurde. Von wegen, it’s just a game!

die eiserne Jungfrau in Bangalore


Nicht nur wirtschaftlich schlägt sich dieses ausgelutschte Konzept der Globalisierung in Indien nieder, nein auch (sub)kulturell holt Asien hier enorm auf. Bestes Beispiel dafür war das Iron Maiden Konzert in Bangalore am 17. März. Ob es wirklich Musikgeschichte schreiben wird, wie die Scorpions 1991 auf dem Roten Platz in Moskau oder das Liveaid-Festival von 1985 sei dahingestellt, aber für Indien war es was ganz besonderes. Zwar haben hier schon einige bekannte Bands und Interpreten gespielt, u.a. David Gilmour, der Sänger von Pink Floyd, aber im Metalbereich wird dieses Konzert das neue Nonplusultra sein für die nächste Zeit. Andere Großkaliber lassen jedoch nicht lange auf sich warten. Für den 2. April haben sich Sepultura in Mumbai angekündigt, Shakira wird dort ebenfalls demnächst ihre hips shaken und bei den anderen Big Bands wird’s nur noch eine Frage der Zeit sein. Denn der Markt ist riesig, die rich kids reißen den Merch Guys geradezu die T-Shirts und Platten vom Leib, (Iron Maiden ist immerhin auf Platz 2 der indischen Charts geklettert) das darf sich doch kein gewissenhafter Musikmanager nehmen lassen…

Zurück zum Wesentlichen. Nachdem Pranav, der (Rock-)Musikschullehrer unseres Vertrauens, die Tickets besorgt hatte, haben wir uns um Reisemöglichkeiten gekümmert und sind losgedüst. Die Hinfahrt hab ich mit Gerhard aus Mannheim verbracht, wir hatten viel Zeit uns gegenseitig zu beschnuppern, dauerte der Zug doch geschlagene 40 Stunden. Das hat aber weniger mit der schlechten Qualität der Schienen oder der Züge zu tun als vielmehr mit der schier endlosen Weite des Landes. Da wir aber mehr als 1000km von insgesamt 2500km Schlafenderweise verbracht haben, hört sich das härter an als es wirklich war. Das einzig nervige war, dass man sich tagsüber auf dem/in der/im/bei der Flohmarkt/Fußgängerzone/Tempel/Armenspeisung wähnte. Der schmale Gang im Zug beherbergte einen nicht enden wollenden Strom an Menschen die einem Chai, Kaffee, Plastikspielzeug, Chicken Biryani, Socken, goldene Uhren, Blumen, Nüsse, Gram, Orangen, Unterhosen, Eis, Wasser, Stofftaschentücher, uvm verticken wollten. Darüber hinaus schleppten sich bizarr verformte Gestalten über den Boden, auf der Suche nach ’nem Rupee oder zwo. Manche wischen den Boden, manche wollen dir deine Flip Flops putzen, aber das härteste sind definitiv die Hijras.

Diese Transen sind unglaublich unverschämt, begrapschen einen regelrecht und werden sauer, wenn man ihnen nichts geben will. In Indien haben sie eine relativ lange Tradition, besonders im Norden. Im Hinduismus waren sie zwar verpönt und die ganze Familie war in die Schande getrieben, jedoch wurden Eunuchen von den Moghuls als Haremswächter angestellt und hatten dementsprechend ein recht hohes Ansehen. Da sich in Indien alles irgendwie vermischt hat, haben diese Mannsweiber eine recht seltsame Stellung. Einerseits sind sie gefürchtet, da sie bei jeder Geburt oder Hochzeit auftauchen können und einen großen Geldbetrag einfordern, da sie ansonsten die Familie verfluchen. Andererseits stehen sie außerhalb der indischen Gesellschaft, fast noch unterhalb der Dalits/Parijas/Unberührbahren. Bisher kann ich aber frohen Mutes behaupten, dass sich jeglicher Fluch bei mir als Schabernack herausgestellt hat. Obwohl doch, vielleicht ist die kurzzeitige Wiederkehr meines Knatterschisses darauf zurückzuführen!?

Jedenfalls haben wir die Zugfahrt ganz gut überlebt und haben uns so richtig in die Metalszene gestürzt. Gerhard kannte von vorherigen Reisen ein paar Jungs in Bangalore und mit denen sind wir abends, nachdem wir uns nachmittags gut einen hinter die Binde geschüttet haben, in die örtliche Metalkneipe gepilgert. Das Styx war voller Headbangender, schwarzer Gestalten, die sämtliche Maiden Songs mitgrölen konnten. Wäre der Anteil an Schnurrbärten nicht so groß gewesen, hätte das auch in Gelsenkirchen oder Bradford sein können. Naja gut, die Aufmachung des Ladens ist für diese Städte vielleicht ein wenig zu fein und bedient nicht ganz das Klischee einer Metalkneipe, aber das spiegelt generell die Szene wieder. In Indien wird die Musik natürlich überwiegend von hauptsächlich in der IT-Branche beschäftigten Upperclasspeople gehört. Dementsprechend war dann auch das Verhalten auf dem Konzert. Die gut 20.000 Zuschauer waren zwar sehr enthusiastisch und haben die ganze Zeit mitgesungen, aber so richtig gemosht wurde da nicht. Auch Crowdsurfer waren komplett fehl am Platze, natürlich zu meinem äußersten Missfallen. Da hab ich mich durch die ganze Crowd gezwängt, um in den ersten Reihen abgehen zu können, und was ist? Keiner ist wild rumgejumpt! Fazit: In Indien kannste barfuss auf’n Metalkonzi gehen, ist doch auch mal was…

Holi Shit!

08.03.2007

Holi Shit!!! In was für ’ner Freakshow bin ich denn heute gelandet?

Beschreiben kann ich’s wahrscheinlich nur sehr unzureichend, aber grob gesagt war die Holi-Feier heute wohl so ungefähr wie Karneval in Rio und Woodstock zusammen. Es ging sehr früh am Sonntagmorgen los, relativ gewöhnungsbedürftig für partydürstende Nightcrawler. Im Speisesaal meines Studentenwohnheims stand ein riesiger Topf voller Bhang. Dieses aus den Blättern und Blüten der Cannabispflanze gewonnenes Getränk ist mir noch in äußerst negativer Erinnerung aus Sri Lanka. Damals hab ich mir geschworen, dass…


Naja, von wegen nie wieder! Zum Frühstück wurde erst mal ordentlich gebechert und anschließend sämtliche Flaschen aufgefüllt. Anschließend haben sich die Ladies und Gentlemen hier schwerstens bewaffnet mit Farbpulver, gefärbtem Wasser, Wasserbomben, Spritzen, Wasserpistolen, etc. um den Triumph des Guten über das Böse, bzw. den Sieg des Frühlings über den Winter zu feiern. In letzterer Bedeutung hat das Fest eine gewisse Ähnlichkeit mit den Wurzeln des Faschings soweit ich weiß, ist aber in seiner mythologischen und spirituellen Bedeutung wesentlich komplexer.

Hab ich zumindest grade erst gelesen, war mir aber den Tag über genau wie all den anderen Chaoten relativ wurscht! Viel wichtiger war es, so viele Opfer wie möglich zu finden, die man bis zur Unkenntlichkeit mit Farbe beschmiert. Aus gutem Grund haben sich die meisten der Foreign Students lange weiße Kurtas und Pyjamas geholt, damit die Ausbeute als Erinnerung an die heimische Wäscheleine gehängt werden kann. Es hat nicht lange gedauert, bis alle so dermaßen wahnsinnig waren, dass die Kurtas und T-Shirts zerrissen auf dem Boden lagen. Ein besonderes Schmankerl bestand darin, einen ca. 3,5m über dem Boden hängenden Tonkrug zu zerschlagen. Dazu kristallisierten sich 2 Teams heraus, die sich gegenseitig daran hinderten. Immer wieder, wenn einer oder mehrere es geschafft haben, auf den Schultern von anderen zu stehen, wurden sie angesprungen und teilweise echt hart zu Boden geworfen. Der Bhang rettete sie wohl vor zu dicken Beulen. Finally jedoch war’n es meine Jungs vom Centre of Regional Development und ich, die siegreich aus dem Ring stiegen und als Belohnung den Inhalt des Kruges abbekamen, blaue klebrige Farbe. Ich glaube ich werde noch Tage bis Wochen brauchen, um den ganzen Scheiß von meiner Haut zu bekommen.

Scheißeritis

Selbstironie ist ja bekanntlich eines der effektivsten humoristischen Mittel, na an dem wird’s wohl heute nicht fehlen. Ich könnte nämlich vor Freude laut los schreien: ICH BIN EIN EUROPÄER!!! ICH BIN NOCH NICHT ZUM INDER GEWORDEN!!! Danke oh Ganesh, du mir wohlgelittener Liebling des himmlischen Pantheons, dass du mich meiner Identität erinnert hast. Ich hab schon gedacht, nach fast 2 Monaten ohne jegliche Magenbeschwerden, ich würde von ’nem anderen Planeten kommen als all die Bleichgesichter, die tagaus tagein zu tief in die Toilettenschüssel schauen, um sich exzessiv den Nebenwirkungen ihrer kulinarischen (Un)genüsse hinzugeben. Zombiehafte Gestalten, die sich durch die Gänge meines Wohnheims schleppen, die Rolle Klopapier unter die Achsel geklemmt, ’ne Flasche Wasser in der Hand. Wenn man den ein oder anderen mal ne Woche nicht sieht, denkt man sich zunächst nix dabei, klar man hat zu tun, das Übliche halt, aber im Nachhinein folgt dann doch die stimmige Erklärung. Nun, diese Woche hat man mich nicht gesehen. Und wech isser! Mensch wie macht der das nur!?

Tja, hat alles mit einem super Wochenende in Rishikesh angefangen. Ich war mit ein paar Ladies und Gentleman white water raften auf dem Heiligsten aller Pfützen, dem Ganges. Nein, ich bin nicht in halbverkohlten Leichenteilen geschwommen, das heb ich mir für besondere Anlässe auf. Im Gegenteil, oben im Himalaya ist die Welt noch in Ordnung. Das Wasser war saukalt, genauso schnell und glasklar. Es hat eine tiefe Schneise in das Gebirgsmassiv geschnitten und so die besten Vorraussetzungen für eine Spitzenbootstour geschaffen.

Auf dem Rückweg haben wir am Sonntag Halt gemacht in Hardiwar, einem der 4 Kumbh Mela (Ihr wisst schon, der Hinduwanderzirkus) Käffer, wo die Tropfen des Unsterblichkeitsnektars (Amrita) auf die Erde getropft sind.

Mein Unsterblichkeitsnektar hatte leider eine andere Wirkung. Ich weiß leider nicht genau, was genau ich falsches gegessen habe. Eine Möglichkeit dies rauszufinden ist, zu überlegen, gegen welche Speise man eine besondere Abneigung hat. Funzt nich, Ich hab im Moment gegen so gut wie alles hier ne derbe Abneigung! MAMA, gib mir Schokopudding oder Schweinebraten mit Kartoffelpürree!!

Aber mein Chaos-Prof. Botulla hat recht: Wir Europäer sind’s einfach selber schuld. Warum machen wir unsere komplette Umwelt so steril? Kein Wunder, dass, sobald wir mal aus unserer pasteurisierten und sterilisierten Welt rauskommen, sich sämtliche Mikroben und Parasiten mit größter Wonne auf uns stürzen. Wir haben denen ja nix entgegen zu setzen. Appell an alle Eltern: Lasst eure Kinder soviel wie möglich mit Dreck und Müll spielen, sie werden es euch später danken!

Auf Einzelheiten der letzten Tage werde ich verzichten, obwohl mir bewusst ist, dass Vulgärhumor durchaus seinen Reiz hat, bin ich schließlich auch großer Fan davon, aber ich will den Lesern Alpträume und Kotzorgien ersparen und mich meiner am Montag morgen in der U-Bahn fast vollständig verlorenen Menschenwürde (Ein Glück hatte ich Ersatzklamotten mit!) nicht vollends entledigen. Ob’s davon wohl Fotos gibt, heimlich aufgenommen von Mitreisenden mit der Handykamera? Oder Videos gar? Ich trau mich ja gar nicht erst, Youtube.com zu durchforsten…

Geburtstag

02.02.2007


Zunächst mal vielen Dank für all die Glückwünsche, hab mich echt riesig gefreut, wie viele Leute an mich denken.

Aufgrund erster Mangelerscheinungen fester Nahrung (FLEIIISCH!!! AAARRGGGGH) hab ich mich dazu entschlossen, dem Campus ’n typisches Münsteraner Sommerfeeling zu verpassen und hab ein BBQ veranstaltet. Leider kann man hier keine 5€ Einweggrills, ’n Sack Holzkohle, ’n paar marinierte Nackensteaks und ’nen derben Vorrat an Bier im Supermarkt oder an der Tanke um die Ecke kaufen. Also habe ich mir 2 Tage Vorbereitungszeit eingeplant, die ich auch vollends ausgeschöpft habe. Zunächst mal ging’s ganz entscheidend darum, ein Grillrost zu bekommen. Nach stundenlangem Fragen und Stöbern habe ich schließlich einen Hardware Store gefunden, der Metalle aller Art recycelt. Ein ganz vorzügliches Stückchen Metall hab ich da erstanden, da könnt ihr mir aber alle mit euren Aldigrills gestohlen bleiben. Ich kann nämlich voller Stolz behaupten, dass es nach eigenen Wünschen zurechtgeschnitten wurde.

Ebenso customised habe ich sozusagen die Software bekommen. Die Metzgereien in Indien erkennt man daran, dass auf der Straße Käfige mit Hühnern stehen. Frischer geht’s wohl nicht! Alle Vegetarier, Tierschützer und Hygienefetischisten überspringen jetzt bitte den folgenden Absatz!

Mit Hilfe eines Dolmetschers (mein (Be)Hindi reicht dazu leider noch nicht, Schande über mein Haupt!) habe ich zunächst erklärt, was ich haben will: schöne, dünne, knochenlose Lammsteaks und vom Huhn weder den Kopf, noch die Füße, noch die Lungen oder das Arschloch sondern just die Schenkel und die Brust. Der Anblick des Muttons war gar nicht so tragisch, das war schließlich schon grob portioniert und hatte das Schlimmste schon hinter sich. Der Metzger-Wallah fing dann mit flinken Fingern (und Füßen) an, die Rippen zu filetieren. Größere Stücke hat er mit einem Messer zwischen seinen Zehen zerteilt, während er halb im Schneidersitz zwischen den Kadavern saß. Die Hühner brauchten jedoch noch ’ne kleine Spezialbehandlung: Zuerst wurde mit einem gekonnten Schnitt dem Hals ein wenig Luft zugeführt, anschließend landete der Kopf in der Ecke zu seinen ganzen Kollegen. Die haben Augen gemacht!!! Ich weiß ja nicht wirklich was dann technisch gesehen geschah, ich weiß nur dass das Huhn in eine Art Holzbottich geworfen wurde, wo man nur Geräusche hörte als wenn ein Kopf feste gegen Holz schlägt. Naja, der Kopf war’s in diesem Fall wohl nicht. Nach einer Minute ca. wurde die süße Flatterfrau dann aus ihrem Karussell geholt, damit sie ihr schönes blutverschmiertes Federkleid abgezogen bekam. Gut, der Rest war weniger spannend. Die Blubber- und Schmatzgeräusche die beim Herausreißen der Innereien entstehen, sind wohl jedem leidenschaftlichen Truthahnbrater leidlich bekannt, sodass ich auf diese Einzelheiten wohl verzichten kann. Jedenfalls habe ich nach ’ner guten halben Stunde drei Kilo Lamm (und zwar genau 3,000 Kilo, weiß der Teufel wie die das machen!) und 5 Kilo Huhn.

Ein herzliches Willkommen zurück an die Anticarnivoren und Blümchenesser. Ihr dürft auch wieder lesen…

Den Grill habe ich auf einer kleinen Wiese in der Nähe des Centres for Law and Governance aufgebaut, weil dort schon Anzeichen von Feueraktivitäten waren und einige Bänke standen. Nachdem ich den Grill aufgebaut habe und dabei war, den Salat zu schnibbeln, kam einer der vielen Security Guards und fragte was ich mache (glaub ich, war auf Hindi).

„Grillen“

„Aaah, Thik hai (OK)“

Alles klar, dachte ich. 10 Minuten später kommt Typ wieder, lawert mich auf Hindi voll, wohl wissend, dass ich nicht die Bohne von dem verstehe, was er mir sagen will. Naja, letztlich klärt sich’s auf, als die reizende Chairlady of the Centre of Law and Order and Offensible Crimes and Severe Punishment and Stick to the Rules and I have to less Sex in my life hinzukommt und mir erklärt, dass Kochen hier verboten ist. Nachdem ich freundlich nach dem Warum frage, fängt der Drache auf einmal an, Feuer zu speien.

„I will not argue with you, It’s prohibited and if you don’t stick to the rules, we have other methods of dealing with this issue.”

(Wow) “But you see, there’s a fire place here”

“That was only for garbage”

Alles klar, Müll verbrennen ist erlaubt, aber selbst auf nen Chai kochen steht die Todesstrafe. Und jetzt kommt der Oberbrüller:

„Where are you from?“

„Germany“

Und Toni: „New York“

„I’ve been to both places and I have experienced that students there stick to the rules and appreciate them.”

Toni und ich mussten wirklich aufpassen, nicht laut loszulachen. Ich hab mir geradeso verkniffen, unsere Lady mal nach Münster zum Kanal- oder Aaseegrillen einzuladen. Oder nach Berlin ins Tacheles oder auf’n Festival. Jedenfalls hab ich mich dann ein wenig in ihrem braunen Salon verkrochen und ganz lieb und brav erwidert, dass wir den von ihr zugewiesenen Alternativplatz aufsuchen, eine 20qm Betonplatte, umrandet und überwachsen von Bäumen, die meinem unfachmännischen Urteil zufolge wesentlich leichter brennbar wären, als der sandige Feuerplatz auf der Wiese.

Ne kleine Flamme entwich dem Drachen noch:

„And take all your garbage!!!“

(Ja natürlich, ich werd’s alles verbrennen! Burn them! Burn them ALL!!!)

„Of course, as you like madam!“

Well, That’s India!!

Rajasthan

28.01.2007


Nachdem ich dort, wo der Pfeffer wächst, Wurzeln geschlagen habe, wurde es Zeit, mich selbst in die Wüste zu schicken. Also hab ich mich zur einwöchigen Rajasthan-Trekkingtour des Mountaneering Clubs angemeldet. Zunächst musste ich für meine Entscheidung leiden, denn zur Vorbereitung haben wir uns jeden Tag zweimal getroffen, um uns auf Herz und Nieren prüfen zu lassen, ob wir die harten Entbehrungen denn auch aushalten würden. Die 3 Runden um den Sportplatz, 10 Liegestützen und Situps und ein paar Stretchübungen entsprachen zwar nicht ganz meinen Vorstellungen von an die Grenzen der Belastung gehen, das Aufstehen um 6.00 Uhr jedoch schon eher. Die anschließenden Erklärungen, wie man einen Rucksack aufschultert und richtig packt, konnten mich da auch nicht wirklich aus meinem Halbschlaf bringen.

Nachdem wir diesen Kindergeburtstag erfolgreich gefeiert haben, ging’s dann am Samstag im mittlerweile von mir heißgeliebten Sleeperabteil der Indian Railways Richtung Jaisalmer, dem letzten größeren Kaff vor der pakistanischen Grenze. In der Nähe eines kleinen Dorfes haben wir in den Sanddünen unsere beiden Zelte aufgeschlagen, dazu das übelst schwere Küchenzelt mit den beiden Kerosinkochern aus der Zwischenkriegszeit und den Riesentöpfen. Einerseits stimmte mich das richtig lecker zubereitete indische Mahl, Reis mit Dal (ne Art dicke Linsensoße) und Sabzi (Gemüse), sehr, sehr zufrieden, andererseits schwante mir Böses bei der Vorstellung, den ganzen Scheiß 80 km durch die Wüste zu schleppen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie happy ich war, als am nächsten Morgen Gangut, unser ewig geiler Kamelhengst, auftauchte und Musa, sein Führer, begann die Sachen aufzuladen.

Während einer Woche in Begleitung eines Kamels lernt man die Tiere ganz gut kennen. Insgesamt sind sie äußerst gutmütig und befolgen die Befehle relativ problemlos. Selbst wenn man sie nur an einen kleinen Ast anbindet, kommen sie gar nicht auf die Idee, abzuhauen, weil sie „denken“, dass sie eh nicht fort können. Viel lieber verdauen sie dann ihre Mahlzeit mit allen Sinnen. Man sollte nicht zu nah hinter Kamelen her gehen, denn wenn sie anfangen zu pinkeln, dann besteht eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen darin, die Ausflüsse mit ihrem Schwanz durch die Luft zu wedeln. Wenn Weibchen in der Nähe sind, dann kann man wunderschön ihre romantischen Gefühle beobachten. Jedoch auf eine eigenartige Weise, denn sie fangen an, ihre Backensäcke raushängen zu lassen und diese mit Luft zu füllen. Das macht ganz eigenartige Blubbergeräusche. Anschließend sieht das Kamel wie tollwütig aus, weil es voller Sabber und Schaum vor’m Maul ist. Wenigstens spielen sie nicht Lama…

Unser Tagesablauf war folgendermaßen: 6.00 Uhr Aufstehen und Frühstück machen, danach Wasser holen, Zelte abbauen und mit den 80 Kindern spielen, die in jedem Dorf plötzlich auftauchen und einen wie Aliens anstarren.

Zwischen 10.00 und 10.30 Uhr sind wir dann los marschiert, am Anfang noch mit relativ geringem Speed, weil die Rucksäcke doch extrem schwer waren, aber mit zunehmender Dauer ging’s gut voran.

Gegen 5.00 Uhr haben wir uns in der Nähe eines Dorfes einen Zeltplatz gesucht, damit wir aus dem dortigen Brunnen etwas Wasser nehmen konnten.

Anschließend gab’s den obligatorischen Chai und ein dickes Menu, was immer drei Stunden gedauert hat um zubereitet zu werden. Denn anstatt mal’n paar schnelle Nudeln zu machen, wurde jeden Abend frisches Dal zubereitet, was mindestes 2 Stunden dauert. Irgendwie kann ich das Zeugs bald nicht mehr sehen. Das gibt’s jeden Tag in der Mensa im Studentenwohnheim und selbst in der Wüste kann man ihm nicht entgehen. Es gibt viele Inder, die jeden Tag, ihr ganzes Leben, dieses Essen gegessen haben, sodass sie wahrscheinlich gar nicht ohne klar kommen würden. Selbst als wir dann in Jaisalmer essen gewesen sind und Gregor, Benjamin und ich uns irgendwas anderes bestellt haben, haben unser sechs Inder in der Gruppe wieder ein Thali inklusive Dal genommen. Jedenfalls ist’s dann immer echt spät geworden, bis wir unser Feuer ausgemacht haben und ratzen gegangen sind, sodass ich nach der einen Woche echt groggy war.