
Diesen Canned Heat Klassiker habe ich jedes Mal im Ohr, wenn es endlich wieder losgeht und ich mich aller Fesseln erledige. Letzte Woche Mittwoch endlich hab ich die Hitze der Ganges Plains hinter mich gelassen und bin mit meinem netten Maschinchen namens Royal Enfield Thunderbird 350cc gen Norden gecruised. Die ersten Stunden waren die reinste Hölle. Der National Highway Nr. 1 von Delhi Richtung Chnadigarh und Amritsar ist eine einzige Riesenbaustelle, besonders in den Städten, die ich passiert habe, wo ein Flyover nach dem anderen gebaut wird. Das ist die indische Version der Umgehungsstraße, wahrscheinlich um einiges teuer aber dafür haben es die Eis-, Plastikspielzeug- und Sonnenschutzautofenstermattenverkäufer nicht so weit zu ihrem Arbeitsplatz.
Nach einigen Stunden Staubfresserei habe ich „the Beautiful City“ Chandigarh erreicht. Schön ist natürlich Geschmackssache, eines ist jedoch nicht zu leugnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen engen, dreckigen, lauten indischen Städten kann man in Chandigarh atmen. Ansonsten hat die vom Schweizer Architekten Le Corbusier geplante Stadt für mich nicht die gleiche Anziehungskraft, die das mächtige Himalaya-Massiv in Sichtweite auf mich auswirkte. Also hab ich noch ein paar Kilometer drangehangen, um mich an der Schönheit der Auswirkungen der Plattentektonik zu erfreuen.
Wenn man auf indischen Straßen motorisiert unterwegs ist, ist man um einiges sicherer als zu Fuß, man hat sich die Nahrungskette immerhin schon mal um mindestens 2 Stufen hochgearbeitet. Dennoch lauern hinter jedem Dhaba tückische Gefahren. An nur einem Tag ist einem Suzuki-Maruti 100 Meter vor mir bei 80km der Heckspoiler abgeflogen und mit einem Riesen-Geschepper vor meinen Reifen gelandet. Kurz zuvor hatte ich einen LKW so schnell wie möglich überholen müssen, weil dieses hoffnungslos überladene Ungetüm konstant seine Ladung, Kies und größere Steinbrocken, verloren hat. Sehr zweifelhaft, ob der mit wahnsinnig viel Inhalt am Ziel ankam oder den ganzen Highway Nr. 1 in einen Steinbruch verwandelt hat. Gefahr Nr.3 sind Pferdegespanne, die von wildgewordenen Biestern kreuz und quer über den, wohlgemerkt immer noch, Highway gezerrt werden, bis der Bordstein Endstation ist. Oben in den Bergen muss man sich derweil mit wildgewordenen Busfahrern rumschlagen, die manchmal so dermaßen
schnell um die Kurven gebrettert kommen, dass es beinahe unmöglich ist, sie zu überholen. Die kleinen Dörfer dort werden mitunter von Hunden bevölkert, deren einzige Abwechslung des Tages es anscheinend ist, mir während der Fahrt ins Bein beißen zu wollen. Dann schon lieber die Armeen von Affen, die mich einfach nur still beobachten, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, ihre eigene Haut vor mir zu retten.
Über Shimla, Dharmsala, Dalhousie und Champa wollte ich eigentlich den Weg nördlich nehmen, um nach Kaschmir zu fahren. Nach ca. 140km und einigen extrem widrigen Bedingungen, wie Wasserfällen, die quer über die Straße verlaufen, und hunderte Meter langen, tiefen Kiesgruben war der letzte Polizeiposten vor der Kaschmirischen Grenze vorläufige Endstation. „Terroristen haben die Brücke in die Luft gejagt,“ hieß es. Ob ich dem glauben wollte oder nicht, jedenfalls ging’s nicht weiter und ich musste den ganzen weiten Weg zurück. Nicht genug, dass ich auf diese Art und Weise bereits einen ganzen Tag verloren hab, beim 2. Anlauf, die Kaschmirische Grenze zu erreichen, fliegt mir der Hinterreifen um die Ohren und lässt mich einen doppelten Rittberger über den Lenker machen.
Zunächst sah es so aus, als wäre eine kleine Zollstation im Punjab Endstation, weil das Bike ziemlich übel aussah und weit und breit keine Werkstatt in der Nähe war. Mein Schutzengel war aber nichtsdestotrotz besonders lieb zu mir, denn außer einem verstauchten Zeigefinger und ein paar abgeschabten Hautfetzen ist alles heile geblieben. Warum also aufgeben?
Nachdem ich mich zusammengeflickt hab und die Nacht auf dem Vordach des Zollpostens gepennt hab, bin ich am nächsten Morgen mit dem Bus nach Pathankot, dem nächsten größeren Kaff, gefahren, um einen Mechaniker aufzutreiben. Erstaunlicherweise lief von da an alles glatt. Zusammen sind wir mit dem Moped zurück gefahren, wo er meinen Reifen gewechselt hat und den Kickstarter repariert hat, sodass ich wenigstens den Weg bis in die Werkstatt antreten konnte. Dort wurde den ganzen Tag herumgeschraubt und abends sah mein Baby wieder fast aus wie neu.
Zu jeder Situation ein passender Song, denn ich bin wieder hier, in meinem Revier. Und hab es doch tatsächlich geschafft, beim 3. Anlauf Kaschmir zu befahren. Dieses Unterfangen stellte sich jedoch bald als eine der sieben göttlichen Plagen heraus. Wer meint, ich übertreibe, der soll nur mal die ganze Zeit auf einem der am stärksten frequentierten Highways Indiens zwischen den derbsten Stinkern herum eiern. Manche Trucks blasen eine riesige tiefschwarze Wolke auf die Straße, die dort mindestens so lange stehen bleibt, bis das nächste Vehikel diesen Zustand nachhaltig verschlimmert. Aus Rücksicht auf die Passanten befinden sich die Auspuffe auf der rechten Seite, was in Kombination mit Linksverkehr bedeutet, dass ich die ganze Soße herrlich abbekomme. Und ich Doof lass meine Sonnenbrille in Delhi liegen. Die sich rapide vor mir auftürmenden Bergmassive entschädigen jedoch für alle Entbehrungen. Ich werde peu á peu meinen persönlichen Höhenrekord nach oben schrauben. Bisher war dies der Furkapass in der Schweiz, Gruß an dieser Stelle an Spanking the Monkey and Ex-Niko and the Bastards und an alle Roadies. Heute hab ich den am Jawahanga-Tunnel um 300m überboten. Doch die Königsetappe wird dann Mitte nächster Woche steigen, wenn es am Tanglang La auf über 5300m geht.
Heute (25.05.07) habe ich Srinagar erreicht. Die Strecke hierhin ist die definitiv best bewachte Straße weltweit. Pro Kilometer passiert man mindestens 30-50 patrouillierende Soldaten und mindestens jedes zweite Fahrzeug, das mir entgegen kam, war Militär. Es scheinen gerade massive Truppenbewegungen statt zu finden, denn alles bewegte sich südlich. Wenn man bedenkt, dass die Hauptkampflinie westlich und nördlich von Srinagar liegen, könnte man vermuten, dass dies ein Zeichen einer zunehmenden Entspannungspolitik ist. Zumal Manmohan Singh, der indische Premierminister immer wieder öffentlich beteuert hat, die Lösung der Kaschmir-Problematik liegt nicht in der militärischen Stärke sondern im Dialog zwischen allen Beteiligten. Im Moment ist die Lage hier relativ ruhig. Srinagar zieht vermehrt Touristen an, hauptsächlich indische, wie mir scheint, die auf den Hausbooten auf dem Dal Lake residieren und die Uferpromenade entlang spazieren. Tatsächlich, Srinagar hat einen richtigen Bürgersteig, sogar ohne 80cm tiefe Schlaglöcher und rostigen Stahlstreben, die sinnlos aus dem Beton herausragen. Ich bin schwerst beeindruckt!
Doch dass die Idylle trügerisch ist, wird einem sofort wieder bewusst, wenn man Soldaten mit Metalldetektoren am Straßenrand rumlaufen sieht. Der Konflikt um Kaschmir jährt sich dieses Jahr zum sechzigsten Mal und aufgrund seiner Komplexität scheint keine
Lösung in greifbarer Sichtweite. Die „offizielle“ Konfliktebene, d.h. die zwischen den beiden souveränen Staaten Indien und Pakistan, wird seit 1947 von einer Sonder-UN-Mission, der UNMOGIP (United Nations Military Observers Group India and Pakistan) überwacht. Major Ričko aus Zagreb erzählte mir, ohne natürlich auf sensible Details einzugehen, von der Arbeit vor Ort. Das Hauptquartier wechselt alle 6 Monate zwischen Srinagar und Rawalpindi, offensichtlich ein politischer Schachzug, um keine Partei zu benachteiligen. Die Hauptaufgabe der 44 UN-Soldaten ist es, die Menge und Art der Waffen auf beiden Seiten der LoC (Line of Control) zu kontrollieren. Eigentlich soll auf dieser Weise der bereits auf dem Papier vereinbarte Rückzug schwerer Artillerie überwacht werden. Doch dies hat bisher in der Praxis nicht stattgefunden. Wenn ich mich zurück erinnere an schwüle Aprilabende auf unserem Hosteldach in der JNU, in denen ich Sameer über seine Zeit bei den Paramilitary Forces gelauscht habe, dann bleibt dies trotz aller politischer Beteuerungen ein heißer Konflikt. Er sei in seiner 30monatigen Zeit in Kaschmir viermal in gegnerisches Feuer geraten, dabei zweimal verwundet worden.
Leider hab ich nicht allzu viel Zeit momentan, um mehr zu erfahren, sonst hätte ich die Tage nochmals um ein ausführlicheres Interview mit dem CMO (Chief Military Observer der UNMOGIP) gebeten. Aber um meinen lang ersehnten Flug nach Toronto nicht zu verpassen, darf ich nicht allzu lange hier verweilen. Man weiß ja nie was auf den nächsten 1000km noch so alles passiert.
28.05.07
Die ersten 150km haben mich dann auch kalt erwischt. Gestern Morgen bin ich von Srinagar a
ufgebrochen gen Nordosten Richtung Kargil. Nach ca. einer Stunde setzte zunächst ein leichtes Nieseln ein, das allmählich in einen beständigen Regen überging. Ich wollte aber auf jeden Fall zumindest Sonamarg, der letzte Kaschmirische Ort bevor es nach Ladakh reingeht, erreichen. Selten habe ich einem heißen Chai so entgegen gefiebert, denn als ich ankam, war ich ziemlich begossen und es war arschkalt. Ich war jedenfalls sehr froh, dass ich mir in Srinagar noch Handschuhe und einen dicken, großen Schal besorgt hab.
Nachdem ich mich am Herd in einem Chaidhaba getrocknet habe und mir eine zweite Hose übergezogen habe, bin ich trotz der wolkenverhangenen Berge, die wettertechnisch eigentlich nichts Gutes verhießen, weitergefahren. Das nächste große Hindernis, im wahrsten Sinne des Wortes, stand mir mit dem 3530m hohen Zoji La bevor. Die dortigen Serpentinen waren eine einzige Schlammschlacht. Inmitten eines Militärkonvoi habe ich mich im ersten Gang hochgequält und musste einmal auf die Hilfe einiger Soldaten zurückgreifen, als ich einer riesigen Pfütze ausweichen wollte, man weiß ja nie, wie tief die Löcher sind und ob dort spitze Steine auf meine leiderprobten Reifen warten. Ich habe stattdessen eine vermeintlich trockene Fahrrinne gewählt die sich jedoch als das größere Übel entpuppte. Relativ fix stand mein Esel tief im Morast und drohte bei jeglichem Versuch, vorwärts zu kommen, weiter einzusinken. Da half nur noch, mir drei Soldaten zu schnappen und die knapp 200kg mit vereinten Kräften aus dem Dreck zu hieven. Die nächsten 15 km waren die reinste Zickzacktour zwischen Pfützen, Steinblöcken und tiefem Schlamm. Als es dann noch mein erster Schnee seit 16 Monaten einsetzte, war ich heilfroh, oben auf der Passhöhe in der wohl gewärmten Stube des wachhabenden Offiziers zu sitzen und mich zu registrieren. Die 150 Mann, die dort ihren Dienst tun, sind wahrlich nicht zu beneiden. Nach einigen weiteren Pfützen, bei denen ich jedes Mal ein Stoßgebet gen Himmel geschickt habe, wurde die Straße allmählich besser und die restlichen 90 km entschädigten schließlich für alle Mühsal. Entlang eines reißenden kleinen Nebenflusses des Indus, der phänomenal fürs Rafting geeignet wäre, ging es durch die atemberaubendste Landschaft. Bäume gab es nur noch am Rande der wenigen Siedlungen, ansonsten wich die Vegetation fast ausschließlich kargen Felsformationen. Da Ladakh, der östliche Teil des Bundesstaates Jammu und Kaschmir arides Klima aufweist, lässt es mich hoffen, dass mir Regen und Schnee die nächsten Tage erspart bleiben.
Kargil ist ein wunderschön gelegener Ort inmitten einer kleinen grünen Oase aus Reisfelder und Bäumen, der ca. 20.000 Menschen beherbergt. Die allermeisten Touristen, verweilen hier nur über Nacht, aus gutem Grund, denn es gibt nicht wirklich aufregendes zu sehen. Dementsprechend war mein Tag, den ich hier heute verbracht hab, relativ entspannt. Die Bevölkerung Kargils, die einen interessanten Mix aus tibetisch-zentralasiatischen Aussehen und muslimischer Kultur aufweist, ist sehr viel mehr entspannter als es vielerorts in Indien der Fall ist. In den zwei Stunden, die ich einfach nur chai schlürfend am Straßenrand gesessen habe, haben mich natürlich Leute angesprochen, aber bei weitem nicht so viele wie sonst und es umzingelten mich erst recht keine Menschenmassen, die mich doof anglotzten. Feinschmecker jedoch werden diesem Ort nicht wirklich was abgewinnen können, denn außer Fried Rice und Mutton Curry gibt es nicht allzu viel auf der lokalen Speisekarte. Es reicht halt für’s Überleben, mehr auch nicht. So werde ich mich denn auch morgen in der Früh aufmachen gen Leh. Auf der Etappe werden auf 232 km 2 Berge der höchsten Kategorie, um im Tour de France Jargon zu sprechen, zu überwinden sein, der 3760m hohe Namika La und der 4108m hohe Fotu La. Peu a Peu schraube ich so meinen persönlichen Höhenrekord nach oben.
29.05.07
Als Nachwehe meines Crashs im Punjab ist einer der Rahmenstangen, die das hintere Schutzblech mit der Hinterachse verbindet gebrochen. Als Resultat schleifte das Schutzblech am Hinterreifen, sodass ich den Weg hinunter vom Namika La im Schritttempo bis ins nächste Dorf fahren musste. Dort habe ich mit Hilfe einiger Tibeter, einem Stück Draht, einer Zange und einer Eisenstange die Aufhängung provisorisch zusammengetüddelt. Die Konstruktion funktioniert sehr gut, deshalb werde ich wohl auf die Dienste eines Schweißgerätes verzichten. Ansonsten ist bereits gestern die komplette Elektrik der Instrumente ausgefallen. Tachonmeter und Tankanzeige funktionierten vorher schon nicht, aber jetzt fahr ich auch die Geschwindigkeit und die Distanz auf Gefühl. Hauptsache, die Reifen, Bremsen und der Motor bleiben intakt. Der Rest ist doch eh nur schmückendes Beiwerk.
Ansonsten ist heute alles glatt verlaufen. Die Pässe waren wesentlich einfacher zu fahren, als der Zoji La, da die Straße meistens asphaltiert war und es bis auf wenige Ausnahmen keine Pfützen gab. Vorbei an eindrucksvollen, kargen Felslandschaften, kleinen tibetanischen Dörfern und diversen Militärlagern
habe ich schließlich Leh erreicht. Von Kargil kommend passiert man zunächst ein riesiges Areal, das ausschließlich militärisch genutzt wird, inklusive Flughafen der Air Force, da Leh das Nachschubdrehkreuz für den Siachen Gletscher, das höchstgelegene Schlachtfeld der Erde, darstellt. Ansonsten ist Leh die alte Hauptstadt des ladakhischen Königreiches, das von den Briten erobert wurde. Der 500 Jahre alte Königspalast, der ein wenig an den Pothala in Lhasa erinnert, beinhaltet einen kleinen Raum, in dem, als ich ankam, ein ca. 10 jährigen Novize tibetische Verse übte. Der ganze Raum war neben einem großen Buddha und einigen Schellen und
Trommeln voller tibetischer heiliger Manuskripte, die von den Mönchen in Jahrzehntelangem Studium auswendig gelernt werden. Soviel zur Forderung aus dem Bildungsministerium nach lebenslangem Lernen.
Die Altstadt wird seit 2003 von einer NGO, der Tibetan Heritage Foundation, die von einem deutschen Architekten, André Alexander, ins Leben gerufen wurde, wieder hergerichtet; mit beachtlichem Erfolg.
Leider hatte ich nur einen Tag, das 360° Bergpanorama zu genießen, denn der härteste Abschnitt wartete auf mich.
Die 474km zwischen Leh und Manali sind berüchtigt als einer der schwersten Straßen weltweit. Nach 110 km muss der Tanglangla, der zweithöchste Pass der Erde (5330m) überwunden werden. Mit einem Höllenrespekt bin ich losgefahren, nur um festzustellen, dass, bis auf einen kleinen Abschnitt, die Straße auf beiden Seiten des Passes asphaltiert ist. So gestaltete sich diese Überquerung letztendlich als die einfachste sämtlicher neun Pässe auf meinem Weg. Mein Fehler war jedoch, den Rest auf die leichte Schulter zu nehmen.

Denn ab Kilometer 160 bis nach Manali, war die Straße insgesamt für ca. 120 km in teilweise desolatem Zustand. Nach der abfahrt des Tanglangla ging es über eine 4700m hohe Ebene, wo der Wind so dermaßen kalt blies, und Sandstürme einem die Sicht komplett nahmen, dass die nächste menschliche Besiedlung mir wie der Garten Eden vorkam. Pang war dennoch nicht mehr als ein paar Armeehütten plus zwei tibetische Zelte, die Chai, Sabzi (Gemüse), Reis und Dal kochen und wo man die Nacht verbringen kann. Nach einer *****-Mahlzeit ging
es dem toughesten Abschnitt entgegen. Zunächst musste ich einen 15 Meter breiten, fast knietiefen Fluss durchqueren, weil die Brücke das Zeitliche gesegnet hat. Zum ersten Mal seit 10 Jahren oder so hab ich ein Kreuzzeichen hinterher gemacht. Der folgende Doppel-Pass, Lachalung La und Nakee La, war zwar „nur“ 5065m hoch, doch gab es auf 30 km nur grobes Geröll und Schmelzwasserflüsse, die teilweise hunderte Meter die Straße hinab flossen. Hin und wieder kam ein LKW oder ein Jeep vorbei, doch das war für ca. 230 km, von den beiden Transit Camps Pang und Sarchu abgesehen, alles, was auf Leben auf diesem Planeten hindeutet. Ansonsten gab’s nur eine Wüste aus Steinen, Schnee und Sand.
Die Nacht habe ich in Sarchu in einem Zelt zusammen mit ein paar indischen Truckfahrern und der tibetischen Familie, die dort im Sommer die Passanten versorgt, verbracht. Ich kann mir ein spannenderes Leben vorstellen, als dort in dieser Einsamkeit, wo ein altes Transistorradio das einzige Kommunikationsmittel in die Außenwelt darstellt. Hier würde man wahrscheinlich noch nicht einmal einen Atomkrieg mitbekommen.
Als das Sonnenlicht am nächsten Morgen genügend Kraft hatte, die Luft ein paar Grad zu erwärmen, bin ich weiter, immer in der ständigen Sorge um meine Reifen auf den Schotterabschnitten. Das nächste große Hindernis, und meiner Meinung nach auch das Schwerste, war der Baralacha La (4950m) wo gewaltige Schneemaßen die Straße säumten und an keinerlei Asphalt oder auch nur festen Schotter zu denken war. An der Passhöhe angekommen, ging es dann aber zur Abwechslung für 20 km ganz smooth wieder ins Tal. Erstaunlich, man fährt eine Stunde lang die Serpentinen bergab und ein Schild am nächsten Camp deutet an, dass man sich auf 4200m befindet. Kaum zu glauben! Nach erneutem, endlosen Schotter und Millionen Schlaglöchern kam ich dann endlich tief genug, um mich Eidechsenmäßig auf einem Felsen zu Sonnen, und die Solarzellen meine Batterien wieder aufladen zu lassen. Und dann, oh Wunder, Dharcha, das erste Dorf seit nördlich des Taglang La. Noch konnte ich mich nicht in Sicherheit wiegen, denn ich war noch nicht über’m Berg. Der letzte Pass vor Manali, der Rothang La hatte es trotz seiner mickrigen 3950m noch einmal in sich. Ins Tal stürzende Wasserfälle müssen durchquert werden, eine elendige Zickzack-Fahrerei raubt einem den letzten nerv, doch dann, endlich! Die Gipfelfahnen flattern gegen den leuchtend blauen Himmel und auf einmal ist man inmitten von Horden indischer Touristen, die mit Kind und kegel ihren Familienurlaub oder auch ihr Honeymoon in Manali verbringen und sich gemütlich auf den Pass fahren lassen. Ich hab noch nie so viele Leute an einem Tag kotzen sehen, mal von der Satanskanalfähre ’99 nach Dover mal abgesehen. Mich hat die Höhenkrankheit jedoch nicht eingeholt. Lag’s an der vielen frischen Luft? In dieser Hinsicht bin ich auf jeden Fall bereit, mich erneut in den verpesteten Glutofen Delhi zu stürzen. Es erscheint mir noch so surreal, dass ich nach all der Kälte in 2 Tagen mir am liebsten wieder die Haut vom Körper schälen würde.