Thursday, June 28, 2007

Namaste

09.01.2007


Christoph, der Sprecher der TV-Show mit der kleinen orangefarbenen Maus und dem dunkelblauen Elefanten würde jetzt feststellen: Das war Hindi!!

Zu viel mehr als zu einem Hallo reicht mein Hindi jedoch noch nicht, ich war die ersten Tage in Delhi mit vielerlei Dingen beschäftigt, da musste die Sprache ein wenig hinten an stehen. Das wird sich aber ab heute ändern, versprochen!

Heute vor einer Woche bin ich in Düsseldorf in den Flieger gestiegen, hab alles Vertraute hinter mir gelassen und mich mal wieder fremden Welten hingegeben. Zunächst einmal ging es nach Finnland, genauer gesagt, nach Helsinki, denn die dort ansässige Finnair-Fluggesellschaft hat die Strecke Helsinki-Delhi erst vor kurzem ins Programm genommen und haut deshalb die Tickets zu Schleuderpreisen raus. Nun gut, spektakuläres lässt sich über Helsinki nicht berichten. Ich habe eine Nacht bei Sofia gepennt, lustigerweise war ich gerade zum richtigen Zeitpunkt dort, um dem EGEA (European Geographer’s Association, für die die’s nicht wissen) Austausch mit Moskau beizuwohnen, sodass ich auch einige altbekannte moskowitische Gesichter wieder gesehen habe. Nach einem Abend in einer Karaoke-Bar und einem Besuch des geographischen Instituts und der Uni-Mensa bin ich dann zum Airport aufgebrochen, um meinen Flieger nach Delhi zu bekommen.

Dort bin ich irgendwann mitten in der Nacht angekommen. Den ersten Eindruck des Landes vermittelte mir Rajiv, mein Taxifahrer. Als ich instinktiv nach dem Anschnallgurt suchte, schaute er mich etwas entsetzt an, wackelte mit seinem Kopf von einem Ohr zum anderen und meinte: „NOOO! This is India, No Problem!“ Sprach’s, und fuhr prompt über eine rote Ampel.

Der Versuch irgendwo auf dem Campus der JNU (Jawaharlal Nehru University) für die Nacht Obdach zu finden, erwies sich als aussichtslos, halb 4 morgens ist doch eine recht unchristliche (oder sollte ich sagen unhinduistische?) Zeit. Ich hab mich dann zu einem etwas überteuerten Hotel kutschieren lassen, dessen Luxus eines Fernsehers mir direkt zuwider war. Die erste Tat des kleinen Inders, der meinen Rucksack auf’s Zimmer getragen hat, war auch prompt, diesen ultralaut anzustellen. Als ich dann das Kabel ausgezogen habe schaute er dann etwas verwirrt drein: „ You don’t like?!“ Sagen wir es so, ich sehe Fernseher am liebsten kaputt auf der Straße unterhalb eines geöffneten Fensters im vierten Stock.

Am nächsten Morgen habe ich dann den Bus genommen und bin zum Campus gefahren. Dieser liegt ca. eine Stunde südlich vom Zentrum Delhis, ziemlich in der Nähe des Flughafens. Nun ging der ganz normale indische Behördenwahnsinn los. Als Gasthörer hatte ich immerhin schon mal den Vorteil, anstatt 6 verschiedene Formulare, nur 4 ausfüllen zu müssen. Ich liste am besten mal die einzelnen Schritte in Stichworten auf, sonst würde es 2 Seiten in Anspruch nehmen:

  1. Büro der Admission Branch, Mr Sanendra Singh: benötigte Zeit: ca. 1 Stunde, benötigte Items: 1 Passbild, ein Stift, 200 Lächeln
  2. Büro des Kassierers: Mr Rajul Davarlal: 20 Min, handgeschriebener Zettel von Mr Singh, 600 US$ oder 26.010 indische Rupies in Cash
  3. ATM der State Bank of India
  4. Zum zweiten Mal beim Kassierer,
  5. Zurück zu Mr Singh, dabei die handgeschriebene Quittung über die Studiengebühren, nun bekomme ich 4 verschiedenfarbige Formulare, ein weißes, ein grünes, ein gelbes und ein rosafarbenes. 4 Passbilder, Kleber, Schere, Mr Singh schickt mich zum Dean of Students, der irgendwo auf dem Campus sein Büro hat,
  6. Suche nach dem Büro ist erfolgreich nach ca. 1 ½ Stunden
  7. Mr Dharmasala Andriputra hat leider Mittagspause, deshalb gehe ich auch was essen.
  8. Zurück bei Mr D.A., dieser deutet an, dass ich zuerst zu meiner School gehen müsse, diese entspricht in etwa dem Fachbereich an deutschen Unis.
  9. Büro von Mr Kahlesh Sahnikul, Dean of School of Social Science, dort bin ich falsch, ich muss zuerst zum Centre of Regional Developement.
  10. Büro von Mrs Indira Vickramasinghe, bevor ich meinen benötigten Stempel bekomme, muss ich zum Büro von Mr Rajul Panini, um mich für meine Kurse anzumelden.
  11. Dort muss ich handschriftlich eine Art Anmeldung zu Kursen vornehmen, die ich noch gar nicht kenne, deshalb ab zum schwarzen Brett, 3 Kurse rausgesucht, zurück zu Mr R.P.
  12. diese Kurse gehen in dieser Kombination nicht, weil blablabla, etc., usw.
  13. zurück zum schwarzen Brett, neue Kurse rausgesucht
  14. endlich bekomme ich den ersten von vielen ersehnten Stempeln, ich werde zum Dean of School geschickt.
  15. dort brauche ich erstmal eine ID, diese bekomme ich in der Bücherei
  16. Vishnu sei Dank habe ich mir einen Vorrat an Passfotos angelegt, ich muss in einem Buch meine persönlichen Daten angeben und 2 Zettel ausfüllen, von denen ich inklusive einem Passbild dem Herrn gegenüber geben muss, weiß der Teufel warum, mit dem anderen Zettel, der netterweise mit dem Stempel und der Unterschrift des Herren der Bücherei versehen ist, renne ich zurück zum Dean of School
  17. Dort bekomme ich eine ID-Card ausgestellt, leider passt mein Passfoto nicht darauf, sodass ich erstmal eine Schere besorgen muss, folglich muss ich mich wieder bei der Schlange hinten anstellen, da ich ja nicht der Einzige bin, dem dieses Schicksal blüht. Jeder Student muss dieses Prozedere nämlich jedes Semester auf’s neue zelebrieren.
  18. Nach erfolgreicher Abgabe des rosafarbenen Zettels geht’s zurück zum Dean of Students, der mir nach Ausfüllen zweier weiterer Formulare inklusive zweier Passbilder und 20 Minuten Wartezeit einen Stempel gibt und mir ein Zimmer in einem der Students Hostels zuweist.
  19. Finally, ich hab es geschafft! Kurz vor Feierabend gebe ich den letzten, weißen, Zettel ab bei Mr Sanendra Singh in der Branch of Admission ab, ihr erinnert euch? Der nette Herr vom frühen Morgen.

Total fertig, aber irgendwie Arschhappy trotte ich zur Bushaltestelle, um zurück zu meinem überteuerten Domizil in Central Delhi zu fahren.

Am nächsten Tag habe ich dann mein neues Zimmer bezogen. Ich bin doch recht positiv überrascht, denn ich habe sogar Strom, das ist nicht in jedem Zimmer der Fall, meine Tür schließt, das liegt natürlich an meinen 1A Vorhängeschlössern, ich habe eine „normale“ Toilette auf dem Flur und Duschen gibt’s auch. Dennoch hat es einige Tage gedauert, um mir der dringendst benötigten Dinge bewusst zu werden.

  1. Ein Bett: Zum Einzug bestand mein Mobilar aus 2 Stühlen, einem verbeulten ranzigen Metallschreibtisch, einem Einbauschrank, 2 Regalbrettern und einem Holzbrett auf kurzen Metallstelzen, das als Bett fungiert. Da aber leider meine Matratze von zu Hause nicht in meinen Rucksack passte, und nacktes Holz relativ unbequem ist, habe ich für die erste Nacht meine Hängematte in Anspruch genommen. Fehler! Ich war am nächsten Tag einfach nur fertig! Erstmal unter die Dusche dachte ich, total durchgefroren und übernächtigt. Dies führt direkt zu den nächsten beiden elementaren Dingen, die man im Leben braucht:
  2. Was zum Aufwärmen: Die indischen Gebäude sind dazu errichtet worden, der enormen Sommerhitze zu trotzen, nicht aber die alles durchdringende Kälte abzuweisen.
  3. Eine Möglichkeit, (warm) zu Duschen: Die nächste Überraschung tauchte in der Dusche auf. Es kam kein Wasser. What Da F***!!! Krishna sei Dank kam mir Arwen, mein Flurnachbar von gegenüber mit einem großen Eimer und einer Art Schöpfbecher entgegen. Während ich mir die Zähne geputzt hab, hat er seinen Eimer am Heißwasserhahn neben der Eingangstür zum Waschraum gefüllt. Achtung Ahaeffekt! Letztendlich ist dies eine wesentlich Wasser sparendere Methode zur Körperpflege. Sollte man im Westen auch einführen.

Also habe ich mal wieder den Bus genommen bis zum nächstgelegenen Stadtteil Munirka. Um mich unabhängig zu machen, habe ich dort erstmal ein superschniekes Racingbike neu erstanden, mit Klingel natürlich, ansonsten würde man in Delhis Verkehr wohl kaum überleben (Dazu später mehr). Dann habe ich eine übelsthäßliche Matratze erstanden, rosa Grund, mit fiesgrünkackbraunpinkweiß geblümtem Muster. I love it! Dazu eine offene elektrische Heizspirale, die man zusätzlich als Toaster benutzen kann. Das Design hätte man in der DDR der 50er Jahre wohl als altmodisch bezeichnet. Und zu guter Letzt durfte mein persönlicher Eimer und Schöpfbecher nicht fehlen. Damit bin ich erstmal einigermaßen ausgestattet. Zum perfekten Glück fehlen noch ein paar schaurig-kitschige Shiva-Poster, oder vielleicht doch Saddam Hussein-Bilder? Oder lieber ein Ferrari F50? Let’s See…

Ach ja bevor ich’s vergesse, damit mir auch alle fleißig schreiben können, meine neue Adresse:

009 Ext. Brahmaputra Hostel

JNU Campus New Mehrauli Rd.

110067 Delhi

India

Die Feuertaufe musste mein Drahtesel aushalten als ich ihn durch die hupende, kreischende, brüllende Masse der Rikscha-Wallahs, der Mittelklasse-Inder in ihren Suzuki Marutis, der Tata und Ashok Leyland Trucks, der wild die Spur wechselnden Bajais 125cc, stoisch anmutender, heiliger gehörnter Vierbeiner und diverser anderer Vehikel in Richtung Qutb Minar, einem der faszinierendsten Bauwerke des Subcontinents, prügelte. Innerhalb weniger Minuten erkennt man am Sound der Hupe, was sich von hinten heranpirscht. Dementsprechend verhält man sich. Beim dumpfen Tuten eines Busses sollte man sich am besten hinter den nächsten Orange-Juice-Wallah werfen.

Das Leben hier auf dem Campus ist jedenfalls entschieden smoother als draußen in da real World. Hier laufen einem morgens auf dem Weg vom Hostel zum Institut Pfauen, Streifenhörnchen, Kühe, Hunde und Katzen über den Weg. So manch ein Getier weiß auch die Hosteleigene Mensa zu schätzen. Da muss man schon mal auf seine Chapatis und seinen Dal aufpassen. Ach ja, da fällt mir ein, ein Löffel für 5 Rupies gehörte auch zu meiner Grundausstattungseinkaufstour, denn irgendwie lässt sich flüssiger Milchreis nicht wirklich super mit den Fingern essen. In Sachen Essen kann man definitiv nicht meckern. 3 mal täglich wird’s im Hostel serviert. Alternativ lässt sich’s aber auch in der Mensa bei der Bücherei super schlemmen. Für ca. 10-20 Cent bekommt man eine große Auswahl verschiedenster indischer Leckereien. Und die erste Werbung für’n Pizza Lieferservice hing auch schon bei mir an der Zimmertür…

Wie sich auf den Fotos erkennen lässt, sind viele Studenten sehr stark politisch engagiert. Die Bandbreite der Fraktionen reicht in etwa von Links bis Ultra-Links. Heute Nachmittag fand am Connaught Place, dem geschäftigen Zentrums New Delhis, eine von der AISA, der All India Students Association, initiierte Demo statt, der ich neugierigerweise beiwohnte. Sie richtete sich gegen die Vertreibung von Bauern in Westbengalen. Das fruchtbare Land von ca. 1000 Familien soll einer Sonderwirtschaftszone weichen, die die Salim Group, ein indonesischer Chemiekonzern, beheimaten soll. Relativ günstig in Hafennähe und der Metropole Kalkutta gelegen, sollen 15.000ha umgenutzt werden. Da die Bauern mit gerade einmal 84.000INR (ca 1500€) abgespeist werden sollen, richtet sich ihr ganzer zorniger Protest gegen jegliche staatliche Institution. Bis an die Zähne bewaffnet haben die Bewohner des Dorfes Nandigram die Straßen unpassierbar gemacht und sich auf ihrem Land verschanzt. Vergangenen Samstag sind dann 7 Dorfbewohner von der Polizei erschossen worden. Dieser Vorfall diente als Aufhänger für massive Proteste im ganzen Land, so auch unserer AISA.

Das Ausmaß der Demo hielt sich in Grenzen. Wohlwollend geschätzt nahmen rund 100 Personen teil, die aber dafür um so lauter ihre Parolen skandierten. Nachdem ich ein wenig mitmarschiert bin, habe ich mich entschlossen, den britischen Teil Delhis zu erkunden.

Irgendwie erinnert die imperiale Größe von Lutyen’s New Delhi an ebenso größenwahnsinnige Steingewordene Ideologien wie die von Albert Speers Nürnberg und Mussolinis Rom. Der einzige Unterschied zu den Faschisten und Nazis besteht darin, dass das Empire zumindest zur Zeit der Errichtung, in den 1920er und 1930er Jahren, mit seinem Weltumfassenden Reich allen Grund hatte, imperialen Wahnvorstellungen zu erliegen. Aber wie speziell die Geschichte Delhis zeigt, währt kein noch so imposantes Reich ewig. Jeder Herrscher, der in oder um Delhi eine Stadt errichtete, viel seiner eigenen Arroganz zum Opfer, die Briten ebenso, wie Mohammed Ibn Tughluk, Shah Jahan und die Moguldynastie, oder die mythischen Pauvanas von Indraprashtra. Insgesamt zählen Historiker 8-9 verschiedene Städte, die hier während der ca. 3000 Jahre alten Siedlungsgeschichte errichtet wurden. Die Überbleibsel jeder einzelnen erzählen ihre ganz eigenen Geschichten vom Glanz vergangener Zeiten.




Mein Hindi macht kleine Fortschritte, für ein paar Lacher reicht’s allemal, vor allem wenn Shashi, Deepak Raj, Raju und Sameer mir Nonsense und Slang beibringen. Ich hab mich ganz schön blamiert als ich dem Restaurantinhaber gesagt habe, dass sein Essen „eine heiße Frau“ sei. Naja, wenigstens Raju kann ich’s heimzahlen, der büffelt grade deutsch und ist recht wenig angetan von den ganzen irregulären Verben und den Feminin-, Maskulin- und Neutrumformen. Da ist das Hindi (bisher zumindest) etwas einfacher. Die erste Hürde besteht aus den 44 Zeichen der Devanagarischrift, die auf dem alten Sanskrit beruht. Die 11 Vokale sehen im Wort jedoch meistens anders aus als wenn sie als einzelne Buchstaben stehen. Zusätzlich werden 2 Konsonanten hintereinander zusammengefügt und ergeben ein neues Zeichen, dass jedoch relativ logisch aus den beiden (oder drei) Einzelzeichen gebildet wird. Dazu gibt es noch Punkte oberhalb der Abschlusslinie, die auf einen Nasallaut hindeuten.

Problematisch ist zudem die Vielzahl ähnlich klingender Buchstaben. Grundsätzlich besteht ein Unterschied zwischen ungehauchten und gehauchten Lauten. Versucht mal, ein „P“-Laut zu sprechen, möglichst ohne dabei Luft raus zulassen und ohne es als „B“ klingen zu lassen. Ziemlich schwierig!! Dasselbe mit „T“, „Th“, „D“, „Dh“, jeweils in zwei unterschiedlichen Versionen, die ich noch nicht ganz ergründen konnte. Ich höre einfach den Unterschied nicht, bzw. bin zu dämlich, ihn zu artikulieren. Ist bestimmt ganz lustig zuzuschauen, wenn ich mit Raju Hindi-Aussprache übe:

R: „Say „Dhh“!!“

S: „Dh!“

R: „No No: „Dhh“!!“

S: „Dh, Dh, Döhöh“

R: “Dhh”

S: “Dö, Dh”

R: “Dhh!! Say Dhh!”

S: “Dö!” That’s right ja?”

R: “Noooo: Not Dö! Dhh!!!”

S: “Dö, Dh, Dd, Dödöhh, ach fuck it!!!”

Dafür hab ich ihn dann 30 Mal “ich” und „zwölf“ sagen lassen. Haha!

Ansonsten wurde heute ganz fleißig Geburtstag gefeiert. Eines der dazugehörenden Rituale besteht darin, sich gegenseitig Sahnetorte ins Gesicht zu schmieren und sich gegenseitig zu füttern. Ne schöne Sauerei war das! Vorher musste ich Deepak Raj noch helfen, was Passendes für Khasutri, dem Geburtstagskind und seiner großen Flamme, zu schreiben. Also ich weiß ja nicht ob mein Liebesbrief Früchte tragen wird…


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